Die Diskussion über die kulturelle Landpartie geht weiter: Karl-Heinz Farni antwortet auf Michael Seelig
Es ist keine Revolution geplant, alles ist da bei der Kulturellen Landpartie.“ Und: „Eigentlich ist alles gut!“ So beginnt Michael Seelig in zero 159 seinen Beitrag zur Diskussion über die Zukunft der Kulturellen Landpartie. Dann jedoch kommt das Aber, dann zählt Michael Seelig auf, was sich alles – obwohl ja eigentlich alles gut ist – ändern soll. Doch nicht dieser rhetorische Trick ist es, der mich gruseln macht. Wovor aber dann graut es mir? Schließlich fordert Michael Seelig nur feine Sachen: Mehr Öko, mehr ernsthafte Kunst, mehr gutes Handwerk, mehr verändertes Bewußtsein, mehr Vernetzung, mehr Nachhaltigkeit, mehr vom Ursprung der Wunde.r.punkte, mehr vom „Traum von einer Sache“, mehr von all dem, was wir doch eigentlich alle möchten. Was, zum Teufel, kann mich daran gruseln?
Zum einen ist da diese lächelnd entschlossene Fürsorglichkeit, die ich sonst nur aus dem kirchlichen Bereich kenne, etwa vom „Wort zum Sonntag“. Michael Seelig weiß, was uns allen guttut, und deshalb wird er der alten Dame über die Straße helfen – ob sie das will oder nicht. Ich, zum Beispiel, – und damit möchte ich nichts gegen die von Michael Seelig ausdrücklich gelobten Orte Breese/Marsch, Prießeck oder Kröte sagen – lebe richtig gern in meinem stinknormalen kleinen Luckau, in dem es keine erhöhte Künstlerdichte, keine Themencluster und auch sonst keine Überschrift gibt, und möchte, bitte, nicht in einem „Vorzeigeobjekt“, wie Michael Seelig das nennt, leben. Ich möchte auch nicht, daß sich mein Dorf durch „Clusterbildung unverwechselbar“ macht, damit die Besucher „finden, was sie suchen“ und, weil „zufrieden und sich wohl fühlend“, sich als „kauffreudig“ erweisen. Das möchte ich selbst dann nicht, wenn sich durch mein halsstarriges Verhalten die „regionalen Wertschöpfungsketten“ wahrscheinlich nicht verbessern. Eiskalt über den Rücken läuft es mir auch, wenn sich Michael Seelig wünscht, daß die Landpartie „weitere Bereiche des Lebens für die Ausstellungen aktiv akquiriert“.
Dieser Ton ist es, der mich bei Michael Seelig (und nicht nur bei ihm) frösteln läßt. Sich um die Zukunft der Landpartie und des Wendlands Gedanken zu machen, Ideen und Visionen zu entwickeln – das ehrt. Und hier hat Michael Seelig so manches fürs Wendland getan. Gar keine Frage – auch wenn es ein bißchen peinlich und auch gewagt, weil so nicht ganz zutreffend ist, sich selbst als „der Vorläufer und Türöffner für die Kulturelle Landpartie“ zu bejubeln. Aber genau dieses Außerachtlassen all der anderen Vorläufer und Türöffner, etwa „Hart an der Grenze“, „Da müssen wir durch“ oder auch „Von Hand“, macht das Kernproblem bei Michael Seelig und bei vielen anderen, die gerade die Landpartie umkrempeln wollen, deutlich. Nämlich, daß es auch bei den hehrsten Gedanken und Ideen für eine bessere Zukunft der Menschen bisweilen nicht von Nachteil ist, diese Menschen mitzunehmen. Und zwar so, wie sie erst mal sind, nicht, wie sie besser ins Konzept passen würden. Eben dies ist Michael Seelig offenbar zu anstrengend. Er hat seine Vision von der „Modellregion Wendland“. Und die will er jetzt, bitteschön, durchziehen; möglichst reiß-brettartig. Dabei aber geht genau das über die Wupper, was er selbst – verbal – stets anmahnt, was ich aber seinem Text nicht entnehme: der Spaß an der Sache, die Lebensfreude. Wenn sie denn – sehr umschrieben – doch mal auftaucht, dann sogleich wieder instrumentalisiert: „...erworben wird ein Stück Lebensqualität des Ortes und der Kunstschaffenden in ihrer ländlichen Idylle.“
Beim Lesen seines Textes hatte ich oft das Gefühl, daß Michael Seelig etwas ganz Wichtiges verwechselt. Daß es nämlich ein himmelweiter Unterschied ist, ob jemand Lebensfreude ausstrahlt und dadurch (am besten sogar, ohne dies zu wollen) etwas bewirkt, oder ob jemand, um etwas zu bewirken, absichtsvoll Lebensfreude abstrahlt.
Es ist auch der invasive Perfektionismus, der mich gruseln läßt. Schon der Pfingstmarkt in Kukate war so perfekt. Das war gut. Denn es gab, weil gleichzeitig Landpartie war, genügend andere Stellen, die das Gegenteil von perfekt waren. Aber würde die gesamte Landpartie ein gigantischer Pfingstmarkt – und was Michael Seelig möchte, riecht mir sehr danach – ich würde flüchten; ebenso, wie ich flüchten würde, gäbe es nur „chaotische“ Punkte! Die Mischung ist es! Deshalb ist auch ein Ort wie Prießeck wichtig, der schon seit hunderten von Jahren extravagante, exotische, besondere Menschen anzieht. Aber jeder Ort etwas ausdrücklich Besonderes, etwas Unverwechselbares? Unter einer ganz besonderen, thematisch fein säuberlich geordneten Überschrift? Grauenhaft!
Für mich besteht der Charme der Landpartie nicht in ihrer Homogenität, nicht in ihrer möglichst ordentlichen Durchorganisiertheit, auch nicht in ihrer „Besucherfreundlichkeit“ und schon gar nicht in einem von oben verordneten Sinn und Zweck und Ziel wie etwa: „Motor der Modellregion“. Nur „hohe“ Kunst, nur Politik, nur „Öko“, nur porentiefe politische und gesinnungstechnisch nachhaltige Reinheit allerorten – all das wäre erstens unerträglich und würde zweitens nie diese Zahl von Besuchern hinter dem Ofen hervorlocken.
Der Charme der Landpartie liegt in ihrer Heterogenität, liegt darin, daß ihr Angebot auch hohe Kunst ist, auch erstklassiges Kunsthandwerk, auch lupenreine Ökoangebote, aber eben auch anderes, Gemischtes, nur halb Ökologisches, auch weniger gutes Handwerk, auch Spiel und Spaß, selbst Dillettantisches, das aber vielleicht liebenswert dargeboten wird oder sogar auch nicht, dann aber die Wirkung hat, das Bessere erst wieder erkennbar zu machen.
Hier in Luckau ist das, finde ich, gut zu sehen. Hier gibt es mehrere Punkte, die sehr unterschiedlich, vielleicht gar widersprüchlich sind. Dazu kommt ein landpartieunabhängiges Café von Bäuerinnen, der örtliche Ökohof spielt auch mit – wenn er Lust und Zeit hat, macht Führungen durch die Käseküche oder verkauft Pellkartoffeln mit verschiedenen Quarks. Es wird „ho-he“ Kunst ausgestellt, erstklassiges Kunsthandwerk und weniger hohe Kunst und einfacheres Handwerk. Und manchmal gesellen sich auch die Kinder aus dem Dorf dazu und haben ihren Spaß, wenn sie Selbstgemachtes, alte Micky-Maus-Hefte oder gebrauchtes Spielzeug auf Decken legen, anbieten und sogar verkaufen.
Genau dies Chaotische, dieses Sammelsurium von autonomen und oftmals widersprüchlichen Punkten ist für mich dafür verantwortlich, daß die Landpartie die einzige hiesige Kultur-Veranstaltung ist, die es fertiggebracht hat, in nennenswertem Umfang über die Kreisgrenzen hinaus bemerkt zu werden.
Und das meiste, was, zum Beispiel, hier in Luckau passiert, müßte verboten werden, ginge es nach Michael Seelig. Denn in seinem zero-Artikel ist er ja noch relativ zahm. Im Internet-Forum der KLP „wünscht“ er sich viel mehr, etwa „erweiterte Auswahlkriterien, die für alle Beteiligten nachhaltiges Handeln einfordern, ...: Öko-Strom, ökologische Produkte, die Verwendung ökologischer Materialien, (keine Plastikstühle), ökologisches Design...“
Das riecht nach einer „Landpartie der Besserverdienenden“ und nach der guten alten Öko-Diktatur. Und Michael Seelig ist nur die Spitze dieses eisigen Berges. Im Dezember wenden sich „in großer Besorgnis“ acht Frauen („Die Gorlebenfrauen“) schriftlich an das Plenum der Kulturellen Landpartie und „wünschen“ sich, „daß alle Aussteller öffentlich ihre Gegnerschaft zu den Gorlebenanlagen dokumentieren müssen, wenn sie sich auf der KLP präsentieren wollen.“
Schade, daß es keine Gesinnungsnacktscanner gibt. Aber mein Tip: frau könnte sich mit dem Panzergrenadierbataillon in Lüneburg zusammenschließen; die kennen sich mit öffentlichen Gelöbnissen und Fahneneiden gut aus.
Vielleicht liegt es an derartigen Auslassungen, daß ich das Wort „Modellregion“ nur noch mit der Kneifzange anfasse und immer öfter das Gefühl habe, daß es manchen, die mit diesem Wort hausieren gehen, oftmals mehr um ihre persönliche Modelleisenbahn Wendland geht, in der alles schön und lieb und öko ist und die dann, nachhaltig weiße Wölkchen in den Himmel pustend, nach und nach den Rest der Welt erobert und heilt und auch zu einer ökologischen Märklin-Idylle umbaut. Und wer dieser Idylle mißtraut, dem zeigt der Öko-Gartenzwerg die Zähne.
Auch hört es sich zwar toll an, wenn Michael Seelig schreibt: „Die ursprüngliche Idee“ (der Wunde.r.punkte) „war, all jene Kräfte, die sich für die Modellregion Wendland engagierten ... zusammenzuschließen.“ Das ist schlau, aber so nicht richtig. Damals gab es den Begriff „Modellregion“ (glücklicherweise!) noch gar nicht. Ich habe es anders in Erinnerung. Viel selbstbewußter! Da kam gar keiner auf den Gedanken, sich zu rechtfertigen, daß und ob er politisch war. Das war selbstverständlich. Es ging vielmehr darum: Wogegen wir sind, weiß alle Welt. Aber jetzt zeigen wir den Leuten mal, wofür wir sind, was wir alles an Schönem zu bieten haben. Daraus gleich wieder eine Modelleisenbahn zu zimmern, mag für die persönliche Denkmalpflege gut sein, gießt am Ende aber nur etwas sehr Lebendiges in Beton.
Die Kulturelle Landpartie lebt nicht von ihrer Organisation – so wichtig und wertvoll sie ist. Sie lebt von ihren einzelnen, verschiedenen, auch einander widersprechenden Punkten. Deshalb müssen die Punkte so autonom wie möglich bleiben. Die Landpartie sollte keine Landpartei, keine Modelleisenbahn einzelner werden. Sie hat ihre Strahlkraft (und damit ganz automatisch Wirkung) gerade dadurch, daß sie sich bislang vor keinen Karren hat spannen lassen und ihre Lebensfreude bewahrt hat. Diese Lebensfreude aber stirbt, wenn sie (für welchen guten Zweck auch immer) allzusehr institutionalisiert und funktionalisiert wird.