23 aus der Ukraine Geflüchtete sind im Moment im "Ankunftszentrum" in der Lüchower Turnhalle untergebracht. Es gibt wenig Aussicht, dass für alle kurzfristig Wohnungen gefunden werden können. wnet besuchte die provisorische Unterkunft.
Es ist ruhig an diesem Mittag in der Turnhalle des Gymnasiums Lüchow. Nur wenige Geflüchtete halten sich im Ankunftszentrum der Samtgemeinde Lüchow auf.
Tine Nureldeen, Leiterin des Ankunftszentrum erzählt, dass im Moment 23 Menschen in der notdürftig eingerichteten Unterkunft bleiben müssen, weil sie keine Wohnung finden. Dabei sind auch fünf Familien mit Kindern. "Eine Familie ist hier inzwischen schon seit fünf Monaten," so Tine Nureldeen. "Sie hatte zwar eigentlich schon eine Wohnung, aber es gab Probleme mit dem Vermieter, so dass sie wieder hierher zurückkamen."
Probleme, mit dem sich die MitarbeiterInnen immer wieder auseinandersetzen müssen: Vermieter ziehen ihre Wohnungsangebote zurück, weil keine "schicken jungen Frauen" kommen, sondern ältere Frauen oder Frauen mit Kindern oder weil sie grundsätzlich andere Vorstellungen von ihren Mietern haben oder weil es einfach miteinander nicht funktioniert. "Diese Menschen kommen wieder zurück in die Unterkunft," beklagt Tine Nureldeen.
Das DRK betreibt das Ankunftszentrum in Lüchow und hat dafür insgesamt sieben MitarbeiterInnen eingestellt, davon 5 Teilzeitkräfte und eine Eingangsbetreuung, die 24 Stunden rund um die Uhr anwesend ist. Dazu kommen fünf bis sechs ehrenamtliche HelferInnen, die unter anderem übersetzen und bei den komplizierten Behördenanforderungen helfen.
Die Räume in der bisherigen Turnhalle machen einen hellen und gepflegten Eindruck.Die Geflüchteten können den gesamten Gebäude inklusive Umkleideräumen nutzen. Waschmaschinenraum, Küche, sanitäre Einrichtungen. Nicht nur für die dringendsten Bedürfnisse ist gesorgt. Im sogenannten "Lesebad", dem mit
Teppichen ausgelegten Raum, in dem früher das Schul-Schwimmbad war, steht eine
Teeküche zur Verfügung. Im ehemaligen Becken steht ein großer
Fernseher, mit dem auch ukrainisches Fernsehen empfangen werden kann.
Privatleben war einmal
WG-Erinnerungen kommen auf, als Tine Nureldeen die in einem Umkleideraum eingerichtete Küche zeigt. Die drei großen Kühlschränke sind mit Fächern und Namen beschriftet. An der Wand hängt ein Plan, wann welche Familie die Küche nutzen kann. Auf einer langen Arbeitsfläche stehen vier schwarze Induktionsplatten, dazu ein großer Tisch und einige Stühle. Wenn es Streitigkeiten in der Unterkunft gibt, dann geht es oft um die Nutzung der Küche oder "Diebstähle" aus dem Kühlschrank.
Einen Rest Privatleben haben die Geflüchteten in "ihrem" Zelt, das sie sich aber mit mehreren Menschen teilen müssen. Eine Bundeswehrpritsche und ein Stuhl sind die einzigen Einrichtungsgegenstände, die zur persönlichen Nutzung zur Verfügung stehen. Kein Schrank. Keine Kommode. Die privaten Utensilien sind neben oder unter dem Bett abgestellt. Zehn dieser Notbehausungen sind in der Turnhalle eingerichtet.
Marina Spota (Foto Mitte), ist aus Mirnohrad in der Region Donezk geflüchtet. Trotz der spartanischen Bedingungen ist sie sehr zufrieden. "Es ist warm und alles, aber ich vermisse ein richtiges Bett," sagt sie und es ist ihr wichtig hinzufügen, wie dankbar sie Deutschland für die Aufnahme ist. Die Betten im Ankunftszentrum sind lediglich Feldbetten, bei denen die Liegefläche aus festem Textil besteht. Marina erzählt weiter, dass ihre Eltern in Donezk geblieben sind, weil der Vater bettlägerig ist und ihre Mutter ihn betreut.
Olga Germann ist eine von den ehrenamtlichen HelferInnen. Die gebürtige Ukrainerin lebt schon lange in Lüchow-Dannenberg und hilft trotz ihrer Vollzeittätigkeit im Schichtbetrieb wo sie kann. Viel zu tun hat sie mit der Begleitung bei Behördengängen. "Schon für uns Deutsche ist der Umgang mit dem Behördenwesen kompliziert, für die Geflüchteten aber schier unmöglich. Schon allein die Buchstaben sind für sie fremd," so Olga Germann. Ehrenamtliche helfen unermüdlich, Wege durch den Dschungel der Vorschriften von Ausländerbehörde, Einwohnermeldeamt und Jobcenter zu finden.
"Aus den Kriegsflüchtlingen sind obdachlose HartzIV-Empfänger geworden"
Die ukrainischen Geflüchteten gelten nicht als Asylsuchende, sondern als hilfsbedürftige Personen ohne Wohnung, heißt: sie werden als Obdachlose geführt. Und für deren Unterbringung und Betreuung sind die Samtgemeinden zuständig, nicht der Landkreis. Dieser Status bedeutet auch, dass sie sich selber um Unterkunft und Lebensunterhalt kümmern müssen. Sie dürfen arbeiten, sind aber im Normalfall zunächst auf Leistungen vom Jobcenter wie HartzIV angewiesen. Tine Nureldeen findet für diese Situation bittere Worte: " "Aus den Kriegsflüchtlingen sind obdachlose HartzIV-Empfänger geworden".
Dazu kommt, dass sich die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter schwierig gestaltet, wie nicht nur Olga Germann immer wieder erlebt. "Das Jobcenter in Lüchow zeigt sich extrem unflexibel", sagt die ehrenamtliche Helferin. "Die MitarbeiterInnen verweigern zum Beispiel, selber in die Ankunftszentren zu kommen. Sie haben auch abgelehnt, mit Geflüchteten zu sprechen, die ohne Dolmetscher zu ihnen kamen, obwohl sie Übersetzungs-Apps bei sich hatten." Am schwierigsten aber sei, dass die Bewilligungsbescheide oft wochenlang auf sich warten lassen. Ein Startgeld bei der Ankunft gibt es beim Jobcenter nicht. In der Samtgemeinde Lüchow sprang man deshalb unkonventionell ein. "Damit die Ankommenden überhaupt etwas Geld haben, haben wir ihnen etwas Bargeld aus Verwaltungsbeständen gegeben," so Thomas Raubuch. "Zurückgezahlt wurde dann, wenn der Bescheid endlich da war."
Das sind nicht die einzigen Probleme mit dem Jobcenter. Auch Erstausstattungen für eine Wohnung konnten in vielen Fällen nicht gekauft werden, weil keine Bewilligung kam. Die Wohnung war da, aber nicht ein Möbelstück. Raubuch sieht hier auch den Landkreis in der Verantwortung: "Ich erwarte von der Kreisverwaltung, dass sie in Sachen Jobcenter aktiv wird. Schließlich sitzen Vertreter des Landkreises mit in der Trägerversammlung des Jobcenters."
Die Letzten tragen die Kosten
Thomas Raubuch treiben noch ganz andere Probleme um. "Die Samtgemeinde steht mit den Kosten der Unterkünfte (in Steine finanziert Lüchow eine zweite Unterkunft) alleine da," klagt Raubuch. "Wir bekommen lediglich vom Jobcenter die Unterkunftskosten für die einzelnen Geflüchteten. Zuwendungen von Land oder Bund erhalten wir nicht." Die Kosten für den Betrieb der Gebäude inklusive der Kosten für den DRK-Einsatz ... die Regelsätze des Jobcenters reichen da nicht aus.
Für den Moment bleibt unklar, ob und wieviel Geld aus der vom Land versprochenen Beteiligung an den übrigen Kosten der Kommunen in den Landkreis geflossen ist. Anfang August hatte sich Dr. Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes , n ach einer Vereinbarung über die Kostenverteilung zufrieden gezeigt: "Mit dieser Vereinbarung haben wir für sie (die Kommunen) ein ordentliches Ergebnis erreicht, um die finanziellen Belastungen der Kommunen zumindest ein ganzes Stück weit abzufedern.“ Angestrebt wird eine zügige Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode, heißt es in der Mitteilung weiter. Ob diese "zügige Umsetzung" stattgefunden hat ...
Thomas Raubuch verliert die Geduld: "Wenn bei uns die Busse vor der Tür stehen, dann müssen die Unterkünfte da sein. Da können wir nicht auf Gesetzesänderungen oder die Beendigung bürokratischer Verfahren warten," so der stellvertretende Verwaltungschef. "Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir müssen selber sehen wie wir klarkommen."
Er sieht die Samtgemeinden inzwischen am langen Ende der Zuständigkeits- und Finanzierungskette, wenn es um die Kostenübernahme für die ukrainischen Geflüchteten geht. Mehrfach haben er und viele seiner KollegInnen das Ministerium über die Unterbringungsprobleme mit den Geflüchteten informiert. "Uns wurde gesagt, 'ja wir verstehen Ihre Probleme, aber wir schicken Ihnen die Geflüchteten trotzdem."
Heißt: im nächsten halben Jahr muss der Landkreis Lüchow-Dannenberg weitere 450 Geflüchtete aufnehmen. "Wenn wir bis dahin keine andere Lösungen gefunden haben, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als weitere Sporthallen zu nutzen," so die resignierte Reaktion von Thomas Raubuch.
Einen guten Effekt hat das ganze Dilemma aber auch: die drei Samtgemeinden arbeiten so eng zusammen, wie kaum jemals zuvor. "Zwischen uns passt kein Löschblatt," sagt Thomas Raubuch. Kirchturmdenken und Profilierungsstreben sind auf Pause geschaltet.
Viele Optionen - geprüft und verworfen
Neben der immer wiederkehrenden Ansprache von privaten Vermietern wurden von den Samtgemeinden inzwischen viele Optionen geprüft. Bisher zeichnet sich jedoch keine Lösung ab. Thomas Raubuch zählt bisherige Versuche auf:
- Polizeikaserne Lüchow - das Land lehnt eine Nutzung ab
- Üfest Woltersdorf - das Land hat auf die Anfrage bisher nicht reagiert. Wie zu hören ist, finden dort Übungen für Geiselbefreiungen statt. Außerdem sollen die Gebäude in einem höchst maroden Zustand sein.
- EDEKA-Markt Dannenberg - geprüft und verworfen. Zelte können aufgrund der niedrigen Decken nicht aufgestellt werden können; hier wären nur Trennwände möglich, außerdem seien die Kosten für die Herrichtung enorm hoch
- Unterbringung auf dem Bergwerksgelände in Gorleben - funktioniert nicht, weil das Gelände dem Bergrecht unterliegt. Dieser Status müsste durch Gesetz geändert werden.
- Containerübernahme aus Gorleben - ist zu teuer
Die Gebäude und das Gelände des Jagdschlosses Göhrde wären ebenfalls eine Option, zahlreiche Menschen unterzubringen. Doch offenbar ist bisher kein Kontakt zur Eigentümerin möglich gewesen.
Auch der Ankauf des Kasernengeländes Neu Tramm steht wieder auf der Tagesordnung. Wie zu hören ist, ist das neueste Konzept, dass der Landkreis das Gelände kauft und das Land mietet. Kurt Herzog, Mitglied des Sozialausschusses des Kreistags, weiß bis heute offiziell nichts von derartigen Plänen. "Wir haben bisher als Abgeordnete keine Information über solche Vorhaben," so Herzog. "Ich habe aber auch meine Zweifel, ob das Land wirklich die Finanzierung so übernimmt, dass der Landkreis ohne Belastungen bleibt."
Anfang September hatte der zuständige Ausschuss weitere Kaufverhandlungen abgelehnt - auf dem Kreistag Ende September wurde das Thema jedoch von der Tagesordnung genommen. Die Landrätin erklärte vor dem Kreistag, dass sie noch Möglichkeiten sehe und teilte mit, dass sich "eventuell" externe Investoren an der Entwicklung des Geländes beteiligen würden.
Kurt Herzog ist irritiert: "Die Landrätin stellt uns immer wieder ein neues Konzept vor. Aber ich sehe nicht, wie eine längerfristige Finanzierung gewährleistet wird." Jenseits davon wird der Kreistagsabgeordnete deutlich: "Wie es im Moment mit der Kostenübernahme für die
Geflüchtetenunterbringung läuft, ist eine Katastrophe. Da wird sich sehr
gedrückt und nach unten durchgeschoben."
Für die Geflüchteten bedeutet die Gesamtsituation, dass sie die behelfsmäßigen Unterkünfte wohl so schnell nicht verlassen können. Ein Umzug in andere Regionen hilft da auch nicht: Lüchow-Dannenberg ist nicht der einzige Landkreis, der nicht weiß, wie er die zahlreichen Geflüchteten unterbringen soll.
Bei allen schwierigen Rahmenbedingungen geben sich MitarbeiterInnen und ehrenamtliche HelferInnen im Ankunftszentrum Lüchow alle Mühe, die Kriegsgeflüchteten in der behelfsmäßigen Unterkunft nicht spüren zu lassen, wieviel Schwierigkeiten mit ihrer Ankunft verbunden sind. Sie geben so viel Unterstützung wie ihnen möglich ist.
Fotos | Gerhard Ziegler