Leserbrief: Im Visier des Staatsschutzes

Das hat bei den Teilnehmern an der NDR-TV-Aufnahme vom 28. März wie eine Bombe eingeschlagen: Wie sie erst jetzt aus zuverlässiger Quelle erfuhren, ist die Zusammenkunft von Gegnern der Rückbenennung der Straße „Am Stadtgut“ in „Farinastraße“ am Vormittag des 28. 3. von vier verdeckten Ermittlern des „Staatsschutzes“ schamlos ausgespäht und bespitzelt worden.

Über die Vorgeschichte hat „zero“ im 2010 berichtet. Und wie ging es weiter? Per Ratsbeschluß vom 23. 6. bzw. 13. 12. 2010 war der Straßenname des ehemaligen NS-Bürgermeisters und Polizeichefs von Uelzen, Johann Maria Farina, in „Am Stadtgut“ um­benannt worden. Im Januar 2011 entstand daraufhin eine sog. Initiative unter Anführung des CDU-Ratsherrn Peter Lücke, die das Rad der Geschich­te zurückdrehen wollte; die Straße sollte wieder „Farinastraße“ heißen, obgleich hinlänglich dokumentiert ist, daß Farina zwischen 1933 und 1945 in Verbrechen aktiv involviert war.

Diese traurige Provinzposse hatte nicht nur die überregionale Presse, sondern auch ein Fernsehteam des NDR neugierig gemacht. Am 28. 3. kam man deshalb aus Hamburg nach Uelzen, machte Interviews und Aufnahmen, und sendete den Hand­lungsablauf einige Tage später in „Hallo Niedersachsen“. Und nun das!

Was von aufrechten antifaschistischen Bürgern Uelzens als Versuch gedacht war, etwas Aufklärerisches und Emanzipatorisches der geschichtlichen Verdrängung und Schlußstrichmentalität Ewiggestriger und gedankenlos in den Tag hinein Lebender entgegenzusetzen, galt dem „Staatsschutz“ offensichtlich per se als hochverdächtig, weswegen man die Zielpersonen (ZPs) ausspähte und bespitzelte.

Nicht im Traum hatten weder das NDR-Team noch die Farinastraßen-Gegner an so was gedacht. Was für die widerständischen Menschen im Wendland seit Jahren Alltag ist, nämlich bespitzelt zu werden, ist für Uelzens Bürger etwas völlig Neues. Hier, im beschaulichen Uelzen, ist die Welt doch noch in Ordnung, dachte manch einer, der an der NDR-TV-Aufnahme teilgenommen hatte. Kann das wirklich wahr sein, wurde gefragt. Leiden da einige von uns vielleicht unter Verfolgungswahn? Reden sie vielleicht von Geheime-Staatspolizei-Methoden der NS-Zeit oder vom aktuellen US-amerikanischen Counterintelligence-Programm? Hier und heute leben wir doch in einem Rechtsstaat, meinte manch anderer.

Zunehmend verdichteten sich seit dem 28. 3. aller­dings die Informationen. Ein Teilnehmer, dem das auffällig be­tont unauffällige Verhalten von zwei der insgesamt vier Spitzel aufgefal­len war, hatte sich das Kennzeichen eines der beiden zivilen Observa­tionsfahrzeuge notiert und es Stunden später auf dem Innenhof des Polizei­kommissariats in der Lüneburger Straße 44 wiederentdeckt. Es gab am 28. 3., und es gibt inzwischen sowohl aufgrund investigativer Recherchen, als auch uns zugespielter Informationen noch andere handfeste Indizien, die belegen, daß das NDR-Team und die Farinastraßen-Gegner am Vormittag des 28. 3. systematisch ausgespäht und bespitzelt wurden.

Die vom NDR gefilmten und interviewten Farinastraßen-Gegner werten diese Bespitzelungsak-tion als einen politischen Skandal, als dunkle Seite unserer Gegenwart. Spitzel sind das Allerletzte!

Das erinnert arg an die NS-Zeit, als die preußische Gestapo am 10. 2. 1936 als Grundlage für ihr zukünftiges Handeln ein neues Gesetz erhielt, das am 20. 9. 1936 auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt wurde, und wo es in § 1 hieß: „Die geheime Staatspolizei hat die Aufgabe, alle staatsgefährlichen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen und zu bekämpfen, dasErgebnis der Erhebungen zu sammeln und auszuwerten und die Staatsregierung zu unterrichten“.

Herauskommen kann bei einer solchen obzessiven Gesin­nungsschnüffelei nur ein denunziatorisches Feind- und Zerrbild, in dem sich niemand wiedererkennt. Derartige Maßnahmen sollen die Bürger ein­schüchtern und verunsichern. Wir halten das für einen schwerwiegenden Ein­griff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen.

Aus Kreisen der Teilnehmer der Zusammenkunft von Farinastraßen-Gegnern wird zur Zeit überlegt, bevor man ggf. die Gerichte wegen dieses Bespitzelungsskandals bemüht, erst einmal ein Auskunftsersuchen an Uelzens Polizei­kommissariat zu richten. Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse daran, zu erfahren, ob bzw. warum demokratische Meinungsäußerungen, wie die vom 28. 3. 2011, präventiv unter Verdacht stehen, eine Gefahr für die FdGO darzustellen oder darstellen zu können. Wehret den Anfängen!

Borvin Wulf, Suderbrug




2011-06-19 ; von ZERO (autor),

 

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