Ist Fährtensuche nur etwas für professionelle Halter? Nein, findet Hundetrainerin Carola Stein. Sie bildet ganz "normale" Haushunde (und ihre HalterInnen) im Mantrailing aus. wnet begleitete eine Trainingsstunde in Lüchow.
Wenn "Carla" aus dem Auto springen darf und ihr Hundegeschirr angelegt bekommt, dann weiß sie: jetzt geht es gleich los! Aufgeregt wartet der Hütehund-Mischling auf das Kommando "Such!" - dann darf "Carla" endlich eine Fährte verfolgen.
Dann geht es auf den verschlungenen Wegen zwischen den Häuserblocks der Lüchower Nordsiedlung, über Kreuzungen hinweg, auf Bürgersteigen und Parkwegen nur noch um eins: den "Fährtenleger" finden - und die Superlecker-Sonderbelohnung einheimsen.
"Carla" ist ein ganz normaler Haushund, deren Halterin Regina Chmieleffski seit rund zwei Jahren mit ihr zum "Mantrailing"-Kurs (Mantrailing = "Mensch verfolgen") geht. Dabei geht es Regina Chmieleffski weniger darum, dass ihr Hund im Zweifelsfall auch einen vermissten Menschen wiederfindet. Vielmehr möchte sie Carla viel Spaß und Beschäftigung bieten. "Außerdem lerne ich meinen Hund bei der Fährtensuche immer besser kennen," so die Erfahrung der Hundehalterin.
Das bestätigt auch die zertifizierte Hundetrainerin Carola Stein von der Hundeschule Blickwechsel , die den Kursus leitet. "Fährtensuche funktioniert nur im Team," erläutert Carola Stein. "Nur wenn die Halter ihre Hunde sehr gut kennen und ihre Verhaltensweisen 'lesen' können, können die Tiere erfolgreich Fährten verfolgen."
Genau deswegen sind Regina Chmieleffski und Heike Gewiss schon seit zwei Jahren dabei. "Mein Hund kann die Fährtensuche schon lange," so Heike Gewiss. "Aber ich lerne immer noch dazu." Carola Stein lacht. "Ja, das Problem hängt hinten an der Leine," weiß sie. "Je nach Typ haben die meisten Hunde schon nach drei Fährtengängen gelernt, was von ihnen verlangt wird." Aber die Halter am anderen Ende der Leine brauchen viel länger, um ihren Hund zu verstehen - und eine sichere Führung bei der Fährtensuche zu erlernen.
Immer noch ein Geheimnis: wieso können Hunde so gut riechen?
Wie faszinierend schnell Hunde ihre Aufgabe lernen können, beweist später "Robertina", eine Bretonen-Hündin. Ihre Halterin Anette Schukrafft ist das erste Mal mit ihr beim Mantrailing-Kurs dabei. Gespannt, aber dennoch geduldig, lässt sich Robertina das Führungsgeschirr anlegen. Sie ahnt, dass heute etwas Besonderes auf sie wartet.
Doch zunächst heißt es warten. "Fährtenleger" Siegbert Schrader muss erst noch eine Lockspur auslegen. Seit einiger Zeit trägt er drei Handtücher unter seiner Jacke, damit sie seinen Geruch aufnehmen. Dann entfernt er sich von der Gruppe und legt in einiger Entfernung das erste Handtuch ab. Da Robertina das erste Mal dabei ist, liegt die erste Fährte nur rund 20 Meter entfernt. Das zweite Handtuch zieht Schrader auf dem Boden wiederum 10 - 20 Meter weiter und lässt es dort liegen. Ebenso verfährt er mit dem dritten Handtuch. Danach versteckt der "Fährtenleger" sich - wiederum rund 10 Meter entfernt - hinter einer Hausecke. Alles passiert außer Sichtweite von Robertina.
Nun ist Frauchen an der Reihe. Anette Schukrafft führt ihren Hund an das erste Handtuch, lässt Robertina schnuppern und lenkt sie sanft in die Richtung des zweiten Handtuchs. Spätestens jetzt hat Robertina verstanden, dass es ums Suchen geht und läuft von selbst zum dritten Handtuch, schnuppert kurz und macht sich dann auf direkten Weg um die Hausecke, wo Siegbert Schrader mit einer Superlecker-Belohnung auf sie wartet. Ein dickes Lob von Frauchen und dem "Fährtenleger" ist der zusätzliche Lohn für den Erfolg.
Das gleiche Spiel wird an einer anderen Stelle noch einmal wiederholt. Dieses Mal weiß Robertina schon, worum es geht - wenn sie auch hie und da erst einmal etwas anderes beschnuppern muss. Doch die Bretonenhündin ist schon so fit, dass sie das dritte Handtuch glatt rechts liegen lässt und direkt um die Hausecke zum Fährtenleger und damit zur Belohnung eilt.
Carola Stein wundert das nicht. Sie weiß, dass Bretonen mindestens seit dem Mittelalter schon für die Jagd eingesetzt wurden. "Ihre Spezialität ist das Suchen und Auffinden von Jagdgut," so die Hundetrainerin. Auch Robertinas Halterin hatte schon Zuhause bemerkt, dass ihr Hund sich besonders begeistert von Such- und Findspielen zeigte.
Jeder Hund tickt anders
Ein ganz anderer Typ ist "Milow", der knuffelige Zwergschnauzer von Heike Gewiss. Sie ist auch schon zwei Jahre dabei und Milow kann schon ganz gut suchen. Aber zu verstehen, was den Zwergschnauzer gerade umtreibt, ist nicht einfach. Nachdem ihm der Such"geruch" vorgehalten worden war, steht er erst einmal abwartend da, schaut erst in die eine, dann in die andere Richtung, zieht erst einmal eine Runde um die Trainingsgruppe und bleibt wieder abwartend stehen.
Außenstehende würden meinen, der Hund hat keine Ahnung, worum es gerade geht. Doch Carola Stein kennt Milow schon einige Zeit und weiß, dass der kleine Schnauzer seine Zeit braucht, um die Fährte aufzunehmen. Sorgfältig schnüffelt er erst einmal alle möglichen Richtungen ab, um sich dann nach einiger Zeit für die richtige Richtung zu entscheiden. Das gleiche Spiel an jeder Wegkreuzung: links schnüffeln, rechts ein Stück den Weg hinein, dann wieder zurück, die Nase in die Luft und noch einmal ringsum schnüffeln - dann ist Milow sicher und läuft in die richtige Richtung weiter.
Faszinierend: an einer Stelle, wo der "Fährtenleger" einen Abzweig gegangen war, prüft Milow sorgfältig die ganze Stelle ab. Denn hier gibt es zwei Möglichkeiten - der Weg geht links am Zaun ungepflastert und rechts vom Zaun gepflastert weiter. Nach einiger Hin- und Herschnüffelei entscheidet sich Milow für den gepflasterten Weg. Genau den Weg, den auch Siegbert Schrader genommen hatte. Dabei läuft der ungepflasterte Weg keine 30 cm neben dem gepflasterten lang.
Auch das für Carola Stein nichts Ungewöhnliches. "Hunde riechen sehr präzise. Selbst nach Stunden, ja sogar wenn es geregnet hat, finden sie genau die Spur, die Mensch gegangen ist." Ist der Mensch im Zickzack gelaufen, so ist oft zu beobachten, dass auch der Hund bei der Verfolgung genau diesem Kurs folgt. "Es gibt Hunde, die eine Abkürzung nehmen, weil sie bereits den Geruch der nächsten Zickzackrunde in der Nase haben. Andere verfolgen punktgenau jeden Zentimeter der Spur, kehren sogar zurück, um eine ausgelassene Spurmarke auch noch zu überprüfen, auch wenn sie längst wissen, wie der Weg weitergeht." "Teilchenzähler" nennt Carola Stein diese supergenauen Hunde.
Bis heute ist nicht endgültig erforscht, wie das Riechen bei Hunden funktioniert. "Man weiß, dass es die Atemluft ist, der die Hunde folgen," so Carola Stein. "Wie eine Glocke hängt der ausgeblasene Atem in der Luft und senkt sich zu Boden. Winzig kleine abfallende Hautpartikel tun ihr Übriges, um dem Hund die notwendigen Geruchs'informationen' zu geben." Warum gerade Hunde aber in der Lage sind, die fast immateriellen Spuren aus der Atemluft aufzunehmen, ist noch immer ein Geheimnis.
"Das Problem hängt hinten an der Leine"
Wer nun glaubt, dass ein, zwei Trainingsstunden in der Gruppe ausreichen, um den eigenen Hund zum Fährtensuchhund auszubilden, irrt. "Die Hunde lernen meist schon in der ersten Runde, was ihre Aufgabe ist. Die Menschen aber, die hinten an der Leine hängen, müssen lernen, die Sprache ihrer Hunde zu deuten," so Carola Stein.
Bleibt er jetzt stehen, weil er die Spur verloren hat - oder nur, weil ihn kurzfristig die Vögel im Busch mehr interessieren als das Suchen der Spur. Kreist er mehrfach um eine Wegkreuzung, weil er nicht weiß wie es weitergeht - oder muss er nur intensiver prüfen, weil der gesuchte Mensch hier womöglich seinen eigenen Weg gekreuzt hat. Jetzt muss der Hund entscheiden, wohin die frischere Spur führt. Denn auch das können Hunde unterscheiden: ist dies eine Spur von gestern oder ist Mensch vor zehn Minuten hier entlang gelaufen.
Dann muss Mensch reagieren: entweder über die Leinenführung signalisieren, dass es jetzt in eine andere Richtung geht, den Hund gewähren lassen oder ihn über kurze Befehle an seine Aufgabe erinnern.
Für Hunde ist Fährtensuchen zwar eine spannende Beschäftigung, die viel Spaß bringt. Aber es ist für sie auch enorm anstrengend. Das ist für Carola Stein mit ein Grund, warum sie Hunde aus Qualzuchten - wie französische Bulldoggen oder Möpse - nicht annimmt. "Diese Hunde können sowieso schon schlecht atmen," so die erfahrene Hundetrainerin. "Beim Schnüffeln müssen sie noch mehr Luft holen, was für diese auf platte Nasen gezüchteten Rassen bedeuten kann, dass sie einen Kreislaufkollaps erleiden."
Doch ansonsten, sind sowohl Siegbert Schrader als auch Carola Stein überzeugt, gibt es keine Rasse und keine Mischlinge, die nicht für das Fährtensuchen geeignet sind. "Außer vielleicht Beagles," lacht Siegbert Schrader. Denn dieser Rasse wird nachgesagt, dass sie nach dem Motto "mach bloß keinen Stress" leben. "Doch auch bei Beagles ist es typabhängig, ob sie für die Fährtensuche geeignet sind oder nicht."
Grundsätzlich können also fast alle Hunde zu Fährtensuchhunden ausgebildet werden. Wie bei dem Besuch des Mantrailing-Kurses zu beobachten war, hängt es aber stark von der Fähigkeit der Halter ab, ihren Hund zu "lesen", ob ihr Gefährte das gesuchte Objekt tatsächlich findet.
"Die Folge ist, dass die Halter, die mit ihren Hunden Fährtensuche trainieren, eine ausgesprochen enge Beziehung zu ihren Hunden entwickeln," so Carola Stein. "Hund und Halter verstehen sich nach einiger Zeit im wahrsten Sinne ohne Worte." Auch ängstliche Hunde können beim Suchtraining ihre Angst verlieren.
Milow, Carla und Robertina hatten jedenfalls offensichtlich beim Fährtensuchtraining in Lüchow jede Menge Spaß. Und ihre Halterinnen hatten ihre Lieblinge noch etwas besser kennengelernt. Und wenn in der Nachbarschaft mal jemand verschwinden sollte, können die drei Teams vermutlich in absehbarer Zeit dabei helfen, die gesuchte Person wiederzufinden.
Foto | Angelika Blank: Milow, Robertina und Carla (von links) üben begeistert, Fährten zu suchen. Angeleitet wird der Fährtensuch-Kurs von Hundetrainerin Carola Stein, unterstützt von ihrem Mann Siegbert Schrader (3. + 2. von rechts).