Margarete Gävert bot Pflanzen und Kränze schon auf dem Dannenberger Wochenmarkt an, als das Kopfsteinplaster unter ihren Füßen noch ein anderes war. Heute ist die Ur-Dannenbergerin 83 Jahre alt, bewirtschaftet über 3000 qm Garten – und steht seit über 60 Jahren bei Wind und Wetter auf dem Wochenmarkt.
1931, als Margarete Gävert als Tochter eines Gärtner-Ehepaares geboren wurde, sah die Dannenberger Einkaufs-Welt noch anders aus. Gemüse wurde kaum gekauft – fast jedermann hatte genug im Garten, um sich selbst zu versorgen. Schnittblumen galten als Luxus und wurden allenfalls zu großen Festtagen benötigt.
So blieb als Geschäft der elterlichen Gärtnerei das Binden von Kränzen sowie die Anzucht von Jungpflanzen. Schon mit zehn Jahren wurde die kleine Margarete mit Gießen beauftragt. Und mit vierzehn Jahren stand sie das erste Mal mit auf dem Dannenberger Wochenmarkt rund um die Kirche.
Auch dieser sah vor dem zweiten Weltkrieg noch anders aus: Neben einem Händler aus Bardowick, der im Frühjahr mit Jungpflanzen nach Dannenberg kam, bot lediglich noch ein Fischhändler seine Waren an. Von dem umfangreichen Warenangebot, dass heute auf dem Wochenmarkt erhältlich ist, träumte damals niemand. Erst nach dem zweiten Weltkrieg kam mit Kleidung, Hausrat, Blumen und Gemüse ein vielfältigeres Warenangebot auf den Markt.
Die Lokalzeitung berichtete 1948 von über 3000 Besuchern, die am 9. September den ersten Großmarkt nach dem Kriege besuchten. Neben Pferden und Schweinen gab es nach dem Bericht erstmals wieder vieles zu kaufen, was im Kriege nicht zu bekommen war. Das beste Geschäft machten laut dem Bericht die Gemüsehändler sowie die Verkäufer von (Holz)Pantoffeln, Besen und Bürsten. Margarete Gävert und ihre Familie gehörte mit zu den Marktbeschickern, die an diesem denkwürdigen Tag ihre Waren feilboten.
Frauenpower hielt die Gärtnerei aufrecht
Für Margarete Gävert war die elterliche Gärtnerei die Welt. Ziegen und Schweine waren zu füttern, Unkraut zu zupfen, regelmäßig musste gegossen und die fertigen Pflanzen für den Verkauf vorbereitet werden. Schule spielte da nur eine untergeordnete Rolle – zumals der Unterricht spätestens in den Kriegsjahren oft nicht stattfand.
Das Gebäude wurde für die Unterbringung von Flüchtlingen oder Soldaten gebraucht, Stühle und Tische waren zeitweise nicht vorhanden und die Schulkinder wurden immer wieder vom Staat zum Kartoffeln Sammeln oder zum „Bahnhofsdienst“ geschickt. Denn auch in Dannenberg landeten in den späten Kriegstagen täglich Flüchtlinge, die von den Schulkindern in Empfang genommen und zu ihren Quartieren gebracht wurden. „Dort mussten wir ihnen dann sagen, dass sie bestimmt in einigen Wochen wieder nach Hause können,“ erinnert sich Margarete Gävert. Dabei ahnten auch die Schulkinder, dass die Flüchtlinge aus den „Ostgebieten“ ihre Heimat wohl so schnell nicht wiedersehen würden.
Der Vater war 1944 in Magdeburg bei
einem Fliegerangriff ums Leben gekommen, so dass die 13-jährige
gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester und der Mutter die
Gärtnerei aufrecht erhalten musste. Ein Schulabschluss war da nicht
sonderlich wichtig. Bereits mit 14 Jahren stand Margarete neben ihrer
Mutter auf dem Wochenmarkt und verkaufte Pflanzen und Kränze. Die "Binderei" lernte sie dann während einiger Monate in der damaligen Gärtnerei Barge in Lüchow.
Selbstversorgung als Lebensprinzip
"Einkaufen" bedeutete in früheren Zeiten etwas völlig Anderes als heute. Auch in "Oma Gretes" Familie wurde nur das eingekauft, was der eigene Hof und Garten nicht hergab: Zucker, Salz, Mehl oder Gewürze. Gemüse und Obst wurde im eigenen Garten gezogen, Fleisch und Wurst von Ziegen und Schweinen selbst hergestellt. Beim Nachbarn stand der Räucherofen, in dem die Wurst entstand. Fleisch wurde in Gläsern eingekocht oder eingesalzen. Gefriertruhen gab es ja nicht.
Ähnlich lebten alle Nachbarn. "Ab und zu kam jemand und kaufte uns Himbeeren ab," so Margarete Gävert. "Aber ansonsten waren Obst und Gemüse keine Artikel, die gekauft wurden." Gefragt waren vorgezogene Gemüsepflanzen, die dann in den eigenen Gärten zu Gemüse heranwuchsen.
Das Saatgut wurde u.a. von "Sperli" bezogen. Die Firma hatte ihren Stammsitz in den 40er Jahren nach Bevensen, später nach Lüneburg verlegt. Der Saatguthersteller hatte damals bereits 40 Küchenkräuter, 1.200 Gemüsesorten und 2.480 Blumensorten im Sortiment.
Neben dem Binden von Kränzen für allerlei Festivitäten war die Anzucht von Jungpflanzen also das Hauptgeschäft der elterlichen Gärtnerei. "Im Krieg konnten wir aber oft keine Kränze binden, weil es keinen Draht gab," erinnert sich Margarete Gävert. Jungpflanzen wurden zum wichtigsten Standbein der Familien-Gärtnerei.
In ihrem Mann fand Margarete Anfang der 50er Jahre einen Gleichgesinnten, der als Spezialist für Blumen neue Geschäftszweige auftat. Er baute die großen Gewächshäuser und züchtete darin Geranien und Nelken - auch eine blaue Nelke, die mit Spezialfarbe eingefärbt wurde. Neue Blumen wie die Begonie tauchten im Sortiment auf. Die Mode, der Geschmack und auch das Einkaufsverhalten hatten sich inzwischen verändert. Mit dem Ehemann zusammen baute Margarete die Gärtnerei völlig neu auf. Die Mutter zog sich 1956 aus dem Geschäft zurück, arbeitete aber noch lange im Betrieb mit, bis "sie beschloss, jetzt habe sie genug gearbeitet".
"Das Schlimmste waren die Hochwasser"
Die Härten der Kriegszeit sind aber nicht die Erinnerungen, die Margarete Gävert nach den "extremsten Erlebnissen" sofort einfallen. Nein, es sind die Überschwemmungen, die Dannenberg mehrfach heimsuchten, bevor in den 50er Jahren die Jeetzel eingedämmt wurde.
1939, 1947 und noch einmal Anfang der Fünfziger Jahre wurde die gesamte Innenstadt vom Wasser überschwemmt - 30 - 40 cm hoch stand das Wasser in der Langen Straße. Auch am tief gelegenen Besenberg, wo die Familie seit 1934 ihre Gärtnerei eingerichtet hatte, wurden die Gärten mehrfach völlig überschwemmt. "Das war schlimm," schaudert Margarete Gävert noch heute. "Die ganze Ernte, die Obstbäume - alles war im Wasser untergegangen." Mehrfach musste die Familie deshalb von vorn anfangen, auf die Jahresernte verzichten.
Wegen der Nähe zur Jeetzel hatten viele Dannenberger damals Kähne am Haus liegen - auch um damit zu ihren damals noch existierenden "Wassergärten" auf der anderen Jeetzelseite zu fahren. "Während der Fluten war des sehr hilfreich," so Margarete Gävert. "So konnten wir uns wenigstens im Ort bewegen."
Und: auch im Winter 1947 half schon die Armee bei der Bewältigung der Hochwasserkatastrophe. Damals waren es in Dannenberg stationierte englische Einheiten, die bei Jasebeck gefährlichen Eisversatz sprengten, der die Deiche zu zerstören drohte.
"Die Arbeit muss ja getan werden"
Träume hatten in Margarete Gäverts Leben wenig Platz.
Und die Jungs vom Sozialgarten Dannenberg, für die "Oma Grete" zur wertvollen Beraterin geworden ist, fassen auch schon mal mit an. Dem Sozialprojekt der Caritas hat Margarete Gävert einen Teil ihres ehemals über 5000 qm großen Gartens abgegeben.
Mutter, Schwester und Ehemann sind schon lange gestorben, die beiden Kinder längst erwachsen und außer Haus. Tochter und Sohn, beide über 50 Jahre alt, haben zwar noch Gärtner und Floristin gelernt, arbeiten aber heute als Lagerist in einem Saatgutunternehmen und als Bürokraft.
Allein Margarete Gävert hält die gärtnerische Tradition aufrecht, ohne Jammern, Murren oder Klagen. Im Gegenteil: der Garten hält sie aufrecht. "Die Arbeit muss ja getan werden. Ich bin froh, wenn ich draußen sein kann ," sagt sie pragmatisch und ergänzt mit schelmischem Lächeln: "Am schlimmsten ist es für mich, wenn ich Staub wischen
muss - dann schon lieber drei Tage Unkraut jäten."
Auf Hochbeete und ähnliche Erleichterungen verzichtet Margarete Gävert bis heute. Dass heißt aber nicht, dass sie moderne Entwicklungen nicht nutzt. Seit über 15 Jahren schwört sie auf den Einsatz von effektiven Mikroorganismen (EM) statt auf synthetische Industriedünger. Ihren Garten düngt sie deshalb mit Gesteinsmehl, Terra Preta und "Bokashi-Naturdünger ".
Die Welt hat sich verändert, seit "Oma Grete" 1931 das Licht der Welt erblickte. Doch in ihrem Garten, zwischen Puffbohnen, Roter Bete, Kohlrabi und bunten Blumen scheint die Zeit ein wenig langsamer zu vergehen. "Entschleunigt" nennt man das in Neudeutsch.
Für Margarete Gävert ist der Garten schlicht ihr Leben.
Foto / Angelika Blank: Seit über 60 Jahren ein nicht wegzudenkender Teil des Dannenberger Wochenmarktes - Margarete Gävert.