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Martin Kippenberger - das Enfant terrible der Kunstszene


Martin Kippenberger galt als "ewiger Querulant und Meister des strategischen Dilettantismus". Erst nach seinem frühen Tod fand er Eingang in die großen Museen dieser Welt. Ab Freitag zeigt die KUNSTkammer in Gartow Reproduktionen privater Collagen und Briefe sowie der Litho-Serie "Das Floß der Medusa".


Er war ein grüner Frosch am Kreuz und eine türkische Putzfrau, die sich als "Helmut Newton für Arme" auf einem Plakat zeigte. Er war Maler, Performer, Installationskünstler und Musiker. Er war politisch denkend - aber ganz sicher nicht politisch korrekt. Martin Kippenbergers Leben war schnell, wüst und kurz. Bereits mit 44 Jahren starb das Enfant terrible der Kunstszene in Wien an den Folgen einer Leber-Zirrhose. Vielleicht weil er ahnte, dass sein Leben nicht sehr lange dauern würde, arbeitete er ohne Unterlass, schuf Gemälde, Collagen, Raum-Installationen und Plakate. Immer wieder karikierte er bundesdeutsche Wirklichkeit, hielt Doppelmoral, Spießbürgertum und verkrusteten Strukturen den Spiegel vor - durchaus mit Selbstironie und Galgenhumor. Dabei scherte er sich nicht um Konventionen und löste mit seiner obsessiven Arbeitsweise nicht nur einmal öffentliche Skandale aus.

Noch lange nach seinem Tode löste sein "grüner Frosch am Kreuz", mit dem er sich selber als schleimige Kröte, mit Bierglas in der Hand ans Kreuz genagelt, karikiiert hatte, in Bozen für einen Volkssturm . Sogar Papst Benedikt regte sich über das "blasphemische Tier" auf. Ein österreichischer Politiker der Südtiroler Volksparte campierte gar zeitweilig vor dem Museum und trat in den Hungerstreik, um gegen die Skulptur zu protestieren.

Berühmt zu werden gelang Kippenberger zu Lebzeiten nicht sonderlich. Erst rund ein Dutzend Jahre nach seinem Tod entdeckte ihn die Kunstwelt. Inzwischen erzielen seine Bilder bei internationalen Kunstauktionen höchste Preise. Große Einzelausstellungen im MoMa in New York, der Tate London, im Hamburger Bahnhof in Berlin und im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig u.v.m. haben seine Bedeutung für die Kunstgeschichte festgeschrieben.

1976 war Kippenberger noch am Beginn seiner Karriere, malte und zeichnete, wo immer er sich gerade aufhielt und mit allen Materialien, die ihm gerade unterkamen. Gisela Stelly-Augstein, die Frau des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein, gehörte zu seinen ersten Kontakten, die er jahrelang mit Briefen, Postkarten und Fotos neuester Werke beschickte. Die Legende sagt, dass Kippenberger Gisela Stelly am Anfang ihrer Bekanntschaft gefragt habe, ob sie »was dagegen hätte, wenn er sie verehren« würde. Auf ihr »Kommt d’rauf an ...« folgten eine ganze Reihe collagierter, illustrierter, kurzer und langer Briefe, übermalte Kopien, skurrile Ansichtskarten und Kartons mit aufgeklebten Fotos.

Alle diese "privaten" Werke sind in Florenz entstanden, wohin es Kippenberger Mitte der 70er Jahre gezogen hatte, weil er der Ansicht war, nur über die "Kunststadt" Florenz berühmt werden zu können. Für die Ausstellung in Gartow überlließ Gisela Stelly Augstein dem Westwendischen Kunstverein die Reproduktionsrechte für die teils recht privaten Briefe, Fotos und Collagen.

20 Jahre später - "Das Floß der Medusa"

20 Jahre später beschäftigt den todkranken Künstler ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, mit dem der französische Théodore Géricault schon zu Lebzeiten für Aufruhr gesorgt hatte. Mit dem Gemälde "Floß der Medusa" erinnerte Géricault an einen skandalösen Vorfall, der drei Jahre zuvor während der Napoleonischen Kriege stattgefunden hatte: Nach einem Schiffbruch entschied der Kommandant des zerstörten Bootes, ein Floß zu bauen, um die überzähligen 194 Seeleute mitnehmen zu können, die nicht mehr auf die sechs vorhandenen Rettungsboote passten. Doch schon kurze Zeit später kappte man die Seile, die das Floß mit den ziehenden Booten verbanden und die 194 Seeleute waren ihrem Schicksal überlassen. Nur 15 überlebten diese Katastrophe. Schnell war es an Bord zu Kannibalismus gekommen. In der Folge wurden nicht nur der Kommandant, sondern weitere 200 Marinesoldaten entlassen. 

In 14 Gemälden zerlegte Kippenberger das Gemälde von Géricault in seine Bestandteile, ließ sich in verschiedenen dramatischen Posen fotografieren, die er dann wiederum zu intensiven Ölgemälden ausarbeitete. Treibende Leichen, verzweifelte Gesichter, ausgemergelte Körper - die Gemäldeserie wirkt wie eine hellseherische Vorwegnahme seines eigenen Leidens. Doch Kippenberger soll sich bei der Arbeit am "Floß der Medusa" nach Aussagen seiner damaligen Frau Elfie Semotan "sehr wohl" gefühlt haben und "in bester Verfassung" gewesen sein. Vier Monate später war Kippenberger jedoch tot - gestorben an Leberversagen, der Folge exzessiver Alkoholjahre.

Peter Johansen, der die Arbeit an der Serie in seiner Kopenhagener Lithografie-Werkstatt betreute, dokumentierte die Entstehung und brachte die Medusa-Serie zusammen mit Kippenberger auf den Kunstmarkt. Johansen, auch Kurator der WWK-Ausstellung, wird auf der Vernissage von seiner Zusammenarbeit mit Kippenberger berichten und Originale aus seinem Besitz zeigen.

Einer der ersten (weitsichtigen) Käufer der Litho-Serie ist der bekannte Kunst-Sammler Harald Falckenberg aus Hamburg, der die Blätter für sein großes, kenntnisreich zusammengestelltes Portfolio erwarb. Professor Falckenberg, der den Westwendischen Kunstverein schon einige Male in den letzten Jahren unterstützte, ist es zu verdanken, dass der WWK Faksimiles nach eigens hergestellten Reproduktionen dieser grandiosen Serie zeigen kann.

Die KUNSTKAMMER-Ausstellung gibt tiefe Einblicke in das intensive, wüste Leben Kippenbergers zwischen Leben und Sterben. Sie zeigt aber auch die humoristische, selbstironische Seite des Enfant Terrible Martin Kippenberger.

Kippenbergers Schwester Susanne im Berliner Tagesspiegel (zitiert auf zeit.de ): »Mein Bruder Martin sitzt im Himmel, so hoffe ich, und freut sich kaputt. Das war es ja, was er wollte: schockieren, um der Wahrheit willen, mit Witz und Selbstironie. Kunst, fand er, ›soll wehtun‹."

In Gartow sind neben einer umfangreichen Zusammenstellung der "Privés" (den Collagen, Briefen und Postkarten, die Kippenberger an Gisela Stelly geschickt hatte) ebenso zu sehen sowie Reproproduktionen des 14-teiligen Lithografienzyklus "Das Floß der Medusa". Die Ausstellung startet in der KUNSTkammer am Freitag, dem 26. Juni um 20.00 Uhr mit einer Vernissage, bei der sowohl Gisela Stelly-Augstein als auch Peter Johansen sprechen werden. Sie läuft dann bis zum 2. August. Am 26. Juli wird der Kunstsammler Harald Falckenberg in das Werk von Kippenberger einführen. An diesem Termin wird auch der Film von Jörg Kobel gezeigt.

Öffnungszeiten: Freitag 16–18 Uhr / Samstag 10–13 Uhr /Sonntag 11–13 Uhr

Foto: "Vier mal Kippenberger aus dem Fotoautomat" gehört zur ersten Serie, die 1976 entstanden ist. (Reproduktionsrechte zum Foto überlassen von Gisela Stelly-Augstein)





2015-06-25 ; von asb (autor),
in Hauptstraße 10, 29471 Gartow, Deutschland

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