Thema: landluft

Medien: Kandiertes Wendland

Karl-Heinz Farni über das neue Wendland-Magazin „Landluft“

Die Idee liegt nahe. Das Wendland wimmelt von erstklassigen Journalisten, von Schriftstellern und anderen Schreibern, von Karikaturisten und Menschen, die es verstehen, mit der Kamera umzugehen. Und das Beste: sie sind alle freiwillig hierhergezogen – weil sie sich ins Wendland verliebt haben, weil sie fasziniert sind von der Vielfalt der Natur und den ein bißchen merkwürdigen Menschen. Was also liegt näher, als diese Leute zusammenzutrommeln und ein Magazin über das Objekt der gemeinsamen Liebe zu produzieren – um so noch mehr Liebhaber hierherzulocken?

Eine Liebeserklärung soll das Heft sein, sagen die Macher des neuen Wendland-Magazins „Landluft“, eine Liebeserklärung an ihre Wahlheimat. Das Produkt ihrer Liebe soll einmal pro Jahr erscheinen, ist 164 Seiten stark und seit 4. März bundesweit in einer Erstauflage von 45 000 Exemplaren für 6 Euro käuflich. Die Liebe erklärt sich in Essays, großzügig dargebotenen Fotos, Portraits und anderen Artikeln über Menschen, Natur und Begebenheiten des Landkreises. Verleger der „Landluft“ ist Christian Behning, Wirt des „Alten Hauses“ in Jameln. Hier entstand auch die Grundidee für das Projekt. Denn die oben genannten Journalisten und Fotografen aus dem Umfeld von „stern“, „Merian“ und „Spiegel“ sind Gäste und Freunde des „Alten Hauses“.

Sinn des Magazins ist es, das Interesse von Nicht-Wendländern am Wendland zu wecken, anders ausgedrückt: Touristen anzulocken. Dazu wurde als Chefredakteur der „Landluft“ ein altbewährtes „stern“-Schlachtroß gewonnen: Heiko Gebhardt. Auch sonst sind fast durch die Bank erstklassige Schreiber und Fotografen mit von der Partie. Es sind Profis am Werk. Ob Kai Hermann („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) seinem Wend-land („Lieber Schatz...“) einen Liebesbrief schreibt oder Arnold Stadler (mit Kleist- und Büchner-Preis ausgezeichnet) eine Ode an die Wirtin des „Alten Hauses“ singt, ob die herrlichen Naturfotos von Dieter Damschen oder die Portraits über unsere Lomit-zer Nationaltorhüterin Almuth Schult, über die „Zauberin“ Undine Stiwich oder über den „Widerstandsgrafen“ aus Gartow, über den Fährmann Lothar Jahnke oder die (zweite) Ode an Lina von der gleichnamigen Bottega in Dannenberg – eine Liebeserklärung jagt die andere.

Jede dieser Geschichten ist für sich allein genommen ganz wunderbar, so wunderbar wie, sagen wir, Marzipan, Nougat oder Kandiertes. Aber wenn es immer nur Nougat und Marzipan und Kandiertes gibt, dann wird zumindest mir relativ schnell übel. Im Klartext: Es fehlt die saure Gurke. So sehr ich Idyllisches liebe, so sehr, wie ich selbst ja verliebt bin ins Wendland – warum, verdammt noch mal, muß Liebe immer so zuckersüß und sahneverschmiert daherkommen?

„Landluft“ ist das – wenn auch handwerklich besser – gemachte Printmedien-Pendant zu einem NDR-TV-Bericht“ übers Wendland, in dem unendliche 45 Minuten lang, untermalt von der samtweichen Stimme Volker Lechtenbrinks, unentwegt lachende und singende Kinder durch blütenüberströmte Wiesen laufen, Füchse und Rehe aufpassen müssen, daß sie nicht hinterrücks von Störchen umarmt und geknutscht werden und alle Einwohner, wenn nicht weltbe-rümte Karikaturisten, so doch wenigstens erbarmungslos liebevolle und nachhaltig lächelnde Widerstands-Biobauern sind. Dazu paßt, daß in Dieter Damschens über 22 Seiten langer Fotostrecke nicht eine einzige Windkraftanlage zu sehen ist. Ich habe nichts gegen Windräder, machen sie doch nur eindrucksvoll sichtbar, wieviel Energie wir verbrauchen. Aber um Lüchow herum, im ganzen Lemgow und ebenso im Südkreis gibt es zwischenzeitlich keinen Panoramablick mehr ohne Windrad.

Das Heft, so erstklassig es technisch und handwerklich gemacht ist, krankt noch an anderem: So ziemlich alle weiteren Fotos hat ein einziger Fotograf gemacht. Dadurch kriegt das Heft etwas Uniformiertes. Vor allem aber tut „Landluft“ so, als wäre es aus dem Herzen des Wendlands heraus geschrieben. Aber es ist nur über das Wendland, über Lina, über den Fährmann, über die Treibjagd – selbst in dem erstklassig geschriebenen Essay von Kai Hermann: Es ist immer ein Blick wie von außen. Und dann fällt einem auf, daß das ja auch mehr oder weniger alles zugereiste Hamburger sind, die die Woche über ihr Geld in einem Haifischteich wie der „stern“-Redaktion verdienen und hier, wenn sie an den Wochenenden wieder mal nach Hause kommen, dann gefälligst Idylle und nichts als diese brauchen und wollen. Was die Autoren hier als Wendland beschreiben, erinnert sehr an das, was in der „Geo“-Redaktion früher „Binnenexotik“ hieß. Fast alle Texte sind aus diesem binnenexotischen Blick aufs Wendland heraus entstanden: fasziniert aber fremd, weil von außen. Wahrscheinlich deshalb berührt mich kein Text wirklich, obwohl (oder weil?) alle ganz verzweifelt bemüht sind, zu berühren.

Ganz schlimm wird’s, wenn es über Clenze geht, oder über die Swinmark oder über Bio im Wendland. Diesen Texten merkt man schmerzlich an, daß sie ausschließlich existieren, um die Seite daneben zu ermöglichen; da stehen Anzeigen aus Clenze, aus der Swinmark, aus dem Bio-Bereich. Was ich überdies enttäuschend finde: Die begehrte, weil bessere rechte Seite (da schaut der Leser als erstes hin), wird, wie das heute auf dem Zeitschriftenmarkt leider üblich ist, auch bei „Landluft“ der Werbewirtschaft gegeben. Der redaktionelle Beitrag wird so ohne Not zum Tender der Werbung degradiert.

Trotz alledem werde auch ich mich nicht verweigern und meinen Beitrag leisten. Wenn denn die „Landluft“ ihr Ziel erreicht und mit ihrer kandierten Idylle mehr Touristen ins Wendland holen sollte, was durchaus zu erwarten ist – je saurer die Zeiten, desto süßer die Sehnsucht –, dann werde ich die Angelockten nicht enttäuschen und mir ein Schild an den Gartenzaun nageln: „Bitte nicht füttern!“




2010-04-03 ; von Karl-Heinz Farni/ZERO (autor),

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