Meinung: Außer Spesen nichts gewesen

John McClane, ein Hollywood-Polizist, gespielt von Bruce Willis, hinterläßt in jedem seiner „Stirb langsam“- Filme einen Haufen Leichen. Äußerlich ungerührt erschießt er mal eben vier Bösewichte in einem Fahrstuhl, legt ein Bürohochhaus in Schutt und Asche, sprengt einen Jumbojet samt Passagieren, schubst Leute vom Dach und pflegt bei all dem einen zwar rustikalen, aber irgendwie auch humorigen Umgang mit den „Bösen“ der Welt.

Der Mann ist Profikiller, aber durch seine Polizeimarke gehört er zu den „Guten“ und ist vor Strafe geschützt. Und wo gehobelt wird,... Im richtigen Leben geht das nicht ganz so einfach, vor allem nicht so unterhaltsam. Im wirklichen Leben schießen die „Bösen“ dummerweise zurück, und im wirklichen Leben treffen sie mindestens genauso oft wie die McClanes. Im richtigen Leben wird auf beiden Seiten gehobelt, und auf beiden Seiten fallen Späne. Und auch mit dem Humor hat es so seine Grenzen, denn später sitzen ein paar junge Männer (neuerdings auch Frauen) nach so einem Einsatz, sagen wir in Afghanistan, mit dem die Welt gerettet werden sollte aber leider nicht wurde, wieder zu Hause und finden nicht mehr ins wahre Leben zurück. Das nennt man „posttraumatische Belastungsstörung“, das macht Menschen depressiv, unleidlich, sehr einsam und arbeitslos. Und der deutsche Staat samt seiner glorreichen Armee erkennt dieses Krankheitsbild nicht einmal als Berufskrankheit an, sondern schickt seine verhinderten Helden durch einen Hindernislauf von Gerichten und Untersuchungen, nur um ein paar Euro an Frührente zu sparen.

Das ist natürlich verlogen und schäbig, nur: warum das alles? Nach immerhin zwei selbst angezettelten und verlorenen Weltkriegen galt lange Jahre ein Grundkonsens in Politik und Gesellschaft, der lautete: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen!“ Dieser Grundkonsens wurde von allen deutschen Nachkriegsregierungen, zumindest offiziell, beherzigt. Inoffiziell gab es immer mal wieder deutsche Beteiligungen an diversen Kriegen. Deutsche Piloten „übten“ schon mal über Vietnam, deutsche Logistik half mit Überflugrechten oder Landeerlaubnissen, deutsche Schlapphüte lieferten schon mal Zielkoordinaten für amerikanische Bomber im Irak. Überhaupt spielten sich im Milieu der Geheimdienste Dinge ab, die sich mit der nach außen betonten Friedensrolle der Deutschen nur schwer vertrugen – nicht erst, seit Murat Kurnaz von deutschen Geheimdienstlern in Guantánamo „befragt“ wurde oder deutsche Behörden konzentriert wegschauten, wenn US-Flieger mit verschnürten und vermummten Gefangenen an Bord, zum Beispiel in Frankfurt, zwischenlandeten, um von dort zu Foltergefäng-nissen, etwa in Rumänien, weitergeflogen zu werden.

Der offizielle, und für alle sichtbare Bruch mit dem Nachkriegskonsens deutscher Politik kam nicht von den altbekannten Militaristen der Stahlhelm-Fraktion in den C-Parteien oder der FDP – die wußten nämlich noch aus eigener Anschauung, was Krieg heißt, und warnten öffent-lich vor militärischen Abenteuern. Der offizielle Bruch mit dieser Tradition kam ausgerechnet von den beiden Parteien, die sich gern als Friedensparteien definierten, der SPD und den Grünen, weil sie endlich einen festen Sitz im UN-Sicherheitsrat erobern wollten. Und der „Sündenfall“ hat ein Datum: Am 16. Oktober 1998 stimmten 500 von 560 Abgeordneten des Bundestags einer Beteiligung der Bundeswehr an „Luftschlägen“ der NATO gegen den angeblich bevorstehenden Völkermord im Kosovo durch serbische Truppen zu.

Seitdem befinden sich, an wechselnden Schauplätzen und mit wechselnden Aufträgen, deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Seitdem schießen deutsche Soldaten mal auf Piraten, mal auf echte oder vermeintliche Taliban – oder wer sonst gerade zum Feind der deutschen Sicherheit oder der deutschen Wirtschaftsinteressen erklärt wurde. Verblüffend dabei ist die moralisch- ethische Geschmeidigkeit der Befürworter solcher Einsätze. Anläßlich der öffentlichen Auseinandersetzung über den Krieg im Kosovo verkündeten honorige Altlinke, wie etwa Joschka Fischer: Kosovo ist Auschwitz. Später tönten, nun in Sachen Irak, Hans-Magnus Enzensberger oder Daniel Cohn-Bendit: „Saddam ist Hitler“ und erklärten jeden Kriegsgegner zum Komplizen dieser „Bestie“. Der unvermeidliche Hendryk M. Broder bescheinigte ihnen mehr oder weniger verkappten Antisemitismus (weil Saddam natürlich kurz davorstand, Israel mit Atom- oder Chemiewaffen anzugreifen), usw. usf.

Die Propagandaschlacht zwischen angeblich realistischen Bellizisten und weltfremden Pazifisten tobt bis heute, nur, daß die Wirklichkeit inzwischen jede noch so düstere Prognose der ach so weltfremden Pazifisten überholt hat. „Nichts ist gut in Afghanistan“, sagte Ex-Bischö-fin Käßmann – da waren es „nur“ 36 tote deutsche Soldaten. Jetzt sind es 43, Kanzlerin und Verteidigungsminister (Berlin, Islamabad, Kabul – die Frisur sitzt!) können die schwarzen Anzüge gleich anbehalten, es wird noch einige Beerdigungen geben. Wobei die Dame und der Herr natürlich die eigenen, deutschen Toten betrauern, tote Afghanen sind uns vielleicht und bestenfalls eine widerwillig entrichtete Entschädigung „wert“, bestimmt kein Staatsbegräbnis.

Übrigens sind die gleichen Damen und Herren, die jetzt mit ernsten Gesichtern vor Kameras und Trauergemeinden treten, um dort ihren Betroffenheitskitsch abzusondern, nicht bereit, die jungen Leute, die sie zu Tausenden in irgendwelche fernen Kriege schicken, zumindest angemessen auszubilden und auszurüsten. Da fehlen nicht nur Nachtsichtgeräte, Hubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge, es fehlt vor allem an dem Hauch einer Idee, was deutsche Soldaten in einem Land wie Afghanistan ausrichten sollen; sie verstehen weder Sprache noch Kultur des Landes, sie dürfen nicht einmal die finanzielle Basis der Taliban, den Mohnanbau, bekämpfen. Letzteres ist vermutlich sogar vernünftig, denn die Privatarmeen der diversen Drogenbosse dürften ziemlich gereizt reagieren, und außerdem haben dortige Bauern schlicht keine Alternativen – außer sie lassen sich als Söldner anwerben, doch in dem Geschäft zahlen Drogenbarone und Islamisten deutlich besser. Apropos zahlen: Der Militäreinsatz in Afghanistan kostet zur Zeit rund eine Milliarde Euro im Jahr. Für den zivilen Aufbau gibt die Bundesrepublik gerade mal die Hälfte aus.

Das alles ist Ausdruck einer bodenlosen Heuchelei der Verantwortlichen in Regierung und Militär. Während Werbetrupps der Bundeswehr in Schulen immer noch von Kameradschaft, kostenlosem Führerschein, Berufsausbildung und Abenteuerreisen in die ganze Welt schwärmen, wird im richtigen Leben mit echter Munition geschossen, und es fließt echtes Blut. Darüber sollten Eltern mit ihren Kindern reden, aber nicht erst, wenn die Musterung droht – vor allem aber auch darüber, wofür sie ihre Knochen riskieren sollen! Um Terroristen zu jagen? Die züchten wir durch solche Einsätze eher selbst!

Ist es nicht seltsam, daß seit Jahren niemand auch nur einen schlüssigen Grund dafür angeben kann, warum für die Demokratie und den Bau von Brunnen und Schulen ausgerechnet in Afghanistan geschossen wird? Ist dieses, seit fast vierzig Jahren von diversen Kriegen verwüstete Land etwa das einzige, in dem es an Schulbildung, Wasser und Demokratie fehlt? Und marschieren wir deshalb demnächst zum Beispiel in halb Afrika ein, oder in den vielen asiatischen Diktaturen?

Wohl kaum! Schon, weil die Bundeswehr selbst festgestellt hat, daß sie mit etwa 9 000 Soldaten im Auslandseinsatz „die Belastungsgrenze“ erreicht hat – nicht die der Soldaten natürlich, sondern der ganzen Armee mit derzeit immerhin rund 240 000 „Mann“. Da können wir ahnungslosen Zivilisten ja mal so richtig froh sein, daß diese teure Truppe bis dahin nie wirklich gefordert wurde, weil, entgegen aller Prognosen, weder „der Russe“, noch irgendein „Schurkenstaat“ unsere schöne, friedliche Heimat je angegriffen hat.

Und nun? Wie kommt die Bundeswehr, wie kommt die Bundesrepublik samt aller Verbündeten aus diesem Krieg wieder raus? Nicht weil es nun auch deutsche Opfer zu beklagen gäbe – das ist nun mal soldatisches Berufsrisiko. Sondern weil dieser Krieg durch nichts gerechtfertigt, und weil er, egal mit welcher Truppenstärke und welchen Waffen, nicht zu gewinnen ist.

Wir kommen da gar nicht raus, jedenfalls nicht mit einem halbwegs vorzeigbaren Ergebnis oder gar bei Wahrung unseres „Gesichts“. Wir werden über kurz oder lang genauso abziehen wie einst die Engländer und später die sowjetischen Truppen – als gescheiterte, geschlagene, ungeliebte Besatzer. Die einzige Wahl, die uns noch bleibt, ist die Wahl des Zeitpunkts und damit die Wahl der Anzahl der Toten und Versehrten. Selbst, wenn dieser Abzug morgen begänne – das Vertrauen der Bevölkerung in Afghanistan haben wir und alle Verbündeten bis auf weiteres verspielt. Wir haben Veränderungen und Entwicklungen versprochen, die wir nie und nimmer einlösen konnten, vielleicht nicht einmal wollten. Nicht nur, weil wir die Aufgabe grundfalsch angegangen sind, sondern weil westliche Vorstellungen von Demokratie und Gesellschaft für ein Land wie Afghanistan so passend sind wie die Scharia, also das islamische Rechtssystem, für Schleswig-Holstein. Und deshalb werden wir aus der Ferne hilflos zusehen müssen, wie nach unserem Abzug alte Rechnungen mit sehr viel Blut beglichen werden, und wir, besser die Nachbarländer, werden Flüchtlingsströme erleben. Wir werden Flüchtlingslager in den Spätnachrichten sehen, und unsere verantwortungsvollen Politiker werden wortreich erklären, aus welchen guten Gründen Deutschland nur wenige oder keine afghanischen Flüchtlinge aufnehmen kann. Ein kluger Kommentator wird dann beklagen, daß man die demokratische Veränderung einer von Stammeskultur und religiösen Regeln geprägten Gesellschaft nun einmal nicht herbeibomben könne – also „außer Spesen nichts gewesen!“

Wer den Afghanen und anderen Völkern zu mehr Demokratie und Entwicklung verhelfen will, muß mit denen reden, die da sind und nicht versuchen, Strukturen oder Parteien nach unserem Gusto zu installieren. Und falls dort Tali-ban regieren, dann muß mit denen geredet werden – wie früher mit dem Franco-Regime, der griechischen Militärjunta, den türkischen Putschgenerälen und vielen anderen „Sympathieträ-gern“ rund um die Welt. Bei Willy Brandt hieß das „Wandel durch Annäherung“. Das funktioniert nicht immer, und schon gar nicht schnell, das hat im Fall der DDR und des Warschauer Paktes 44 Jahre gebraucht. Aber selbst wenn es dauert und manchmal schiefgeht – unblutiger, erfolgversprechender und nicht zuletzt billiger ist es allemal.

Foto: Timo Vogt/randbild.de Dt. Soldaten auf dem Weg nach Afghanistan




2010-06-09 ; von Stefan Buchenau (autor),

 

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