Hilflosigkeit ist das vorherrschende Gefühl bei jeder atomaren Katastrophe. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen ist das Ausmaß des Super-GAU in Japan noch nicht abschätzbar. In Erinnerungen an Tschernobyl mischen sich die Bilder der Atombombenabwürfe auf Nagasaki und Hiroshima.
Das Sitzen vorm Fernseher und Aufsaugen der Nachrichten ist unerträglich. Was tun? Zum ersten Sonntagsspaziergang nach dem japanischen Atomunfall versammeln sich spontan über 500 Menschen an den Gorlebener Atomanlagen, in über 380 Städten sind Demos aus dem Stegreif angekündigt.
Was hat das alles mit uns hier zu tun? Auch in Deutschland gibt es AKW an erdbebengefährdeten Standorten, insbesondere der älteste Meiler, Neckarwestheim 1, der am marodesten und eine tickende Zeitbombe ist. Doch auch alle anderen AKW sind nicht gegen Erdbeben sicher gebaut und lassen sich diesbezüglich auch nicht nachrüsten.
Das Atomkraftwerk Fukushima sollte im März 2011, 40 Jahre nach der Inbetriebnahme, abgeschaltet werden. Auch nach dem Super-GAU in Tschernobyl war an der Mär von der Sicherheit westlicher Atomanlagen nicht zu rütteln. Das Scheitern japanischer Technik, die hierzulande als vorbildlich gilt, mag diesen Glauben an die Beherrschbarkeit deutscher Atomanlagen nun hoffentlich auch bei den BewohnerInnen unseres Landes, erschüttern.
Die Informationspolitik nach dem Super-GAU im AKW Fukushima ist die gleiche, wie die nach Tschernobyl 25 Jahre zuvor. Die Regierungen deckeln, was das Zeug hält. Die Worte des Bundesumweltministers Röttgen sind fast identisch mit denen des Bundesinnenministers Zimmermann im April 1986: „Für Deutschland besteht keine Gefahr“– während die radioaktive Wolke in wenigen Tagen über der Nordhalbkugel erwartet wird.
Was sich hingegen geändert hat, ist das Zeitalter, das nun in dem der allgemein zugänglichen Informationen angelangt ist. Über das Internet und soziale Netzwerke verbreiten sich Informationen, auch vom Ort des Geschehens, in unglaublicher Geschwindigkeit. Mails aus Japan von befreundeten AktivistInnen, Einschätzungen von Fachleuten wie Heinz Smital von Greenpeace, Sebastian Pflugbeil, Physiker und Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz oder Vladimir Slivyak von „ecodefense“ Moskau rufen bei uns schlimme Befürchtungen hervor.
Wir kämpfen in Gorleben seit 34 Jahren. Aus einer anfänglichen Betroffenheit durch die Pläne für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ vor der eigenen Haustür ist die Gewißheit geworden, für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen weltweit zu streiten. Zum einen, weil wir uns gegen die Verseuchung, die weit weg stattfindet, auch hier nicht schützen können, zum anderen, weil es ein komplexes Geflecht international agierender Firmen gibt, die zu Lasten der Menschen skrupellos ihren Profit abschöpfen. Ob es sich ziemt, angesichts des aktuellen Leids der Menschen, vor allem in Japan, solch politische Reden zu schwingen? Ja, wann, wenn nicht jetzt, sollen wir denn das sofortige Abschalten aller AKW fordern? Die Unfälle haben System. Sie sind einkalkuliert. Nach Betreiberangaben findet alle 10 000 Jahre ein Super-GAU statt. Geteilt durch die 400 Atomkraftwerke weltweit ist das alle 25 Jahre. Auf diese Pünktlichkeit hätten wir gerne verzichtet.
Die Regierungen, die zugunsten der Atomstromkonzerne bisher Atompolitik salonfähig gehalten haben, können die japanische Atomkatastrophe nicht rückgängig machen, aber sie sollten aus ihr lernen. Das sind sie den vielen unmittelbar Betroffenen des jetzigen Super-GAU, die wir befürchten müssen, schuldig.
Kerstin Rudek, Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg