Nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit öffnete im Zehntspeicher Gartow die erste von drei Ausstellungen zum Gedenken an den 25. Jahrestag der Katastrophe in Tschernobyl - „Menetekel“. Rund 300 Gäste interessierten sich für die Fotoausstellung, die sich mit Tschernobyl ebenso beschäftigt wie mit der verseuchten Zone in Majak und dem langjährigen Widerstand in Gorleben.
In ihrer Eröffnungsrede stellte Rebecca Harms, Co-Fraktionsvorsitzende der Greens/EFA im Europäischen Parlament fest, dass zum 25. Jahrestag von Tschernobyl dass der GAU in der Ukraine als Warnung an die Welt nicht ernst genug genommen wurde – denn wenige Wochen vor dem Jahrestag erschütterten die Vorfälle in Fukushima die Welt.
„Die Unfähigkeit von heute ist nicht die Unfähigkeit zu denken sondern die Unfähigkeit sich etwas vorzustellen“, so Rebecca Harms in Erinnerung an den Philosophen Günter Anders, der mit seinem Buch „Hiroshima ist überall“ schon in den 50er Jahren zu den Atombomben auf Japan und den Folgen gearbeitet hatte. „Gegen diese Unfähigkeit sich etwas vorzustellen wollen wir mit dem Projekt „Expeditionen“ 25 Jahre nach Tschernobyl an arbeiten.“
Im Rahmen von „Tschernobyl 25 – expeditionen“ finden in diesem Jahr sowohl in Gartow als auch in Freiburg, Warschau, Kiew, Brüssel und Hamburg Ausstellungen, Lesungen und andere Veranstaltungen statt, die sich vor allem mit den kulturellen Aspekten des Reaktorunfalls beschäftigen.
Menetekel - Fotoausstellung in Gartow
Für „Menetekel“ konnten die KuratorInnen Julia da Franca Marunde und Ernst von Hopffgarten sechs Fotografen gewinnen, die sich in ihren Fotos bzw. Bildcollagen einerseits mit den Folgen des GAUs und andererseits mit dem „Menetekel“ - der drohenden Gefahr – für die Region um Gorleben beschäftigen.
„Unser Menetekel ist die Hybris, das überhebliche Vertrauen, hochgefährliche Technologien beherrschen zu können. Die Gefährdung demokratischer Gesellschaft durch den profitorientierten Umgang der Konzerne mit der Atomtechnologie und ihren Einfluss auf Regierungen.“ so Ernst von Hopffgarten zum Auslöser für die Ausstellung. „Die Katastrophen von Majak, Harrisburg und Tschernobyl haben kein Umdenken bewirkt, auch unser dreißigjähriger Protest nicht. Nun gibt es ein Menetekel: Fukushima.“
„Auf unserer Suche nach künstlerischer Aufarbeitung zum 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl stellten wir fest, dass sich Malerei und Skulptur, die eher klassischen Disziplinen der Bildenden Kunst, auf einer übergeordneten Ebene mit der aktuellen Wahrnehmung der Welt beschäftigen, weniger mit tagespolitischen oder aktuellen gesellschaftlichen Problemen“, so von Hopffgarten weiter. „Offensichtlich scheint die Fotografie zurzeit eher das Medium zu sein, in dem sich Künstler mit aktuellen Problemen auseinandersetzen. Hervorragende Fotografen haben sich mit Atomkraft, mit ihren Katastrophen und dem Widerstand gegen sie befasst.“
Der junge Fotograf Timo Vogt hat die Region um das russische Majak am Süd-Ural bereist und seine Gesundheit in der am stärksten verstrahlten Gegend der Welt gefährdet. 1957 setzte dort eine chemische Explosion große Mengen radioaktiver Stoffe frei.
Rüdiger Lubricht war mehrfach in der Zone um Tschernobyl und in Prypjat. Er verdichtet in seinen Fotografien die menschliche Dimension dieser Katastrophe. 16 seiner Fotografien werden in Gartow gezeigt.
"Obwohl unsere Situation im Wendland in keiner Weise vergleichbar mit den oben genannten Katastrophenregionen ist, erschien es uns naheliegend, auch diese fotografisch zu thematisieren, da sie von dreißigjährigem Protest gegen Kernenergie und Atompolitik geprägt ist“, begründet von Hopffgarten den „Wendland“-Bezug in der Ausstellung.
Martin Klindtworth zeigt ganz spezielle Landschaftsfotos vom Wendland: Es ist die Landschaft der Transportstrecke der Castorbehälter – in friedlicher, transportfreier Zeit.
Burkhard Welzel nimmt das kulturelle Wendland hintersinnig aufs Korn.
Hieronymus Proske und Iha von der Schulenburg rücken den Eventcharakter des Widerstands in den Fokus. Günter Zint begleitet den Widerstand seit Jahrzehnten und lenkt den Blick auf die theatralische Dimension des Protestgeschehens: die Reihe der gerüsteten Polizisten wird gleich einen Can Can tanzen. Der Aufmarsch der Behelmten erinnert an den Chorus des antiken Theaters, demgegenüber der ungeordnete Haufen der Friedlichen, versöhnliche Szenen, aber auch der Reigen der Gewalt.
Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, fragte sich in seiner Eröffnungsrede, wie es gelingen könne, angesichts der enorm langen Zeiträume von mehreren Zehntausend Jahren, den Nachfolgegenerationen die Gefährlichkeit des radioaktiven Stoffes zu vermitteln. Immerhin sind die ältesten Schriftdokumente gerade einmal 5500 Jahre alt – und für heutige Generationen ohne wissenschaftliches Studium nicht zu entziffern.
So stellt sich die Frage nach der „Nichtdarstellbarkeit“ einer Gefährdung, die nicht zu sehen, zu riechen, zu fühlen oder zu hören ist. Hier kann es womöglich die Kunst sein, die mit den ihr eigenen Mitteln eine Sprache findet, die auch nach tausenden von Jahren noch verstanden wird.
Öffnungszeiten: Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Mai jeden Freitag von 16 – 19 Uhr sowie Samstags und Sonntags von 14 – 18 Uhr geöffnet. Eintritt frei
Mehr Informationen über „Tschernobyl 25 – expeditionen“ gibt es unter www.chernobyl25.org.
Foto: Andreas Conradt/publixviewing.de