„Kostet Krebs bald zuviel für uns alle?“ Der Titel der ebenso hochkarätig besetzten wie hochbrisanten Podiumsdiskussion des Onkologischen Netzwerks Wendland (ONW) am Donnerstag, 19. Oktober um 19 Uhr im Verdo in Hitzacker wurde bewusst zugespitzt, um Aufmerksamkeit für ein drängendes Problem zu schaffen, wie Dr. Reingard Stuhlmann und Dr. Alexander Schmitz vom Onkologischen Netzwerk Wendland erläutern.
„Das Thema wurde gewählt, weil es als gesellschaftliches Tabu hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird. Diese Diskussion gehört unserer Ansicht nach in die Öffentlichkeit“, erläutern die Vorstände des ehrenamtlich tätigen Onkologischen Netzwerkes.
Worum geht es bei der Veranstaltung?
Die Verquickung der Kosten moderner Tumortherapie mit ethischen und persönlichen Einschätzungen zu „Was ist uns Leben oder Weiterleben wert?“ löst bei Patienten, Ärzten und der gesamten Gesellschaft große Verunsicherung und kontroverse Diskussionen in der Öffentlichkeit und den Medien aus.
Weitere Verunsicherung resultiert aus den wirtschaftlichen Aspekten: Will die Pharmaindustrie nur Gewinne machen? Wollen die Krankenkassen einfach nicht bezahlen? Wollen Ärzte nur behandeln, ohne den Menschen als Ganzes zu betrachten und mit ihm einfach Geld verdienen?
Wieviel darf das Weiterleben kosten? Sind 120.000 Euro Behandlungskosten für drei Monate gewonnene Lebenszeit „zu viel“? Und wenn nicht, für wen wird gezahlt, wer aber muss vorher „ableben“? Und wer entscheidet das?
Sterbehilfe für die Armen - Weiterleben für die Reichen?
„Ähnlich brisant wurde im Jahr 2015 das Bestreben der Gesetzgeber nach Regelungen zur Sterbehilfe diskutiert, was uns ein Anlass war, schon damals hierzu eine Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Referenten zu veranstalten“, erläutert die Fachärztin und Krebsexpertin Dr. Reingard Stuhlmann, seit kurzem Vorsitzende des ONW.
Die geburtenstarken Jahrgänge kommen langsam in den Altersbereich, in dem sie krank werden und dennoch älter werden, also auch eher Tumorerkrankungen erleiden werden, betont Pharmazeut Dr. Alexander Schmitz.
Die Onkologie wird das
Gebiet sein, in dem die meisten neuen Arzneimittel auf den Markt kommen.
Pharmakonzerne werden damit höchste Umsätze erzielen – bereits im Jahr
2018 weltweit schätzungsweise 120 bis 140 Milliarden US-Dollar. Einer US-amerikanischen
Studie zufolge haben die Krebsmedikamente, die in der Zeit von 2002 bis
2014 zugelassen worden sind, die Lebenszeit der Patienten aber
durchschnittlich nur um 2,1 Monate verlängert. „Der Kampf gegen Krebs geht voran: aber nur in sehr kleinen und sehr kostenträchtigen Trippelschritten.“ (Prof. Ludwig, 2016).
Was darf Weiterleben kosten?
Krebs ist ein so komplexes Geschehen, dass es die für alles wirksame Wunderwaffe nicht geben wird. Es wird also der Mut zu finden sein, sensible Fragen zu stellen, ja stellen zu müssen: Zum Beispiel: Wie viel darf das Lebensziel einer Großmutter, den Enkel noch bei der Einschulung sehen zu können“, kosten? Das einzelne Leben ist endlich, die Ressourcen der Solidargemeinschaft der Versicherten aber auch. Wo und wie setzen wir diese Mittel ein?
"Erfreulicherweise haben wir in Deutschland ein stabiles Versicherungswesen, das die Belange des Gesundheitswesen äußerst komplex regelt und insbesondere NICHT das Portemonnaie des einzelnen im Krankheitsfall darüber entscheidet, ob er und welche Behandlung er bekommt," heißt es im ONW. Aber ist deswegen wirklich jeder Preis gerechtfertigt? Selbst wenn klar ist, dass ein endendes Leben mit einem zehntausende Euro teuren Medikament nur einige Wochen verlängert werden kann? Wenn das Geld dann an anderer Stelle bitter fehlt?
Ethische Bedenken gegen
ökonomische Betrachtungen, gepaart mit der Frage, was als medizinischer
Fortschritt gewertet werden kann: „Wir brauchen den offenen Austausch.
Es ist uns ein Anliegen, auch schwierige Themen anzufassen und nicht
wegzusehen“, erläutern Stuhlmann und Schmitz.
An der Podiumsdiskussion
beteiligen sich:
- Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, renommierter Kritiker von Entwicklungs- und Marktstrategien der Pharmaindustrie. Ludwig ist Mitglied des Arzneimittelausschusses der Bundesärztekammer und der Europäischen Arzneimittelbehörde, bis vor kurzem Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Helios Klinikum Berlin-Buch
- Prof. Dr. med. Giovanni Maio, Philosoph und Mediziner sowie Inhaber des Lehrstuhls für Medizinethik an der Universität Freiburg und Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, ständiger Berater der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Bundesregierung und der Bundesärztekammer in ethischen und juristischen Grundsatzfragen
- Gerwin Winter, General Manager Celgene Deutschland – Celgene ist ein weltweit agierendes biopharmazeutisches Unternehmen mit Stammsitz in Summit, New Jersey mit Schwerpunkt auf der Entwicklung innovativer Arzneimittel gegen schwere Krebserkrankungen
- Ralf Rambach, ehrenamtlicher Vorstand im Haus der Krebs-Selbsthilfe.
Foto | Dr. Alexander Schmitz und Dr. Reingard Stuhlmann vom Vorstand des ONW haben eine ebenso hochkarätig besetzte wie hochbrisante Diskussionsveranstaltung zum Thema „Krebs kostet... bald zuviel für alle?“ vorbereitet.