Es ist wohl der persönlichste Film, den Filmemacherin Roswitha Ziegler bisher produziert hat. Über drei Jahre lang begleitete sie ihren an Krebs sterbenden Ehemann mit der Kamera - bis zum leisen Ende im März 2013.
Immer wieder ist es die Natur "da draußen", die widerspiegelt, was der Todkranke nicht ausdrücken kann: Sonnenstrahlen im Frühling, Blicke durch das Blätterdach oder das Huh eines Käuzchens in der Nacht werden zu Bildern der Verzweiflung, der Hoffnung, der Trauer. Drei Mal wechselten sich die Jahreszeiten ab, drei Mal Frühling, Sommer, Herbst und Winter, bis am Ende des letzten Winters das Leben von Jochen Fölster sein Ende fand.
Für Roswitha Ziegler gab die direkte Nähe zur Natur die Chance, poetische Bilder zu finden für das Unaussprechliche, nicht in Bildern Darstellbare: die Verzweiflung, Das Nicht-Wahrhaben-Wollen, die schleichende Erkenntnis, dass nichts wieder gut wird und die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit gegenüber Siechtum und Todeserwartung - aber auch die Hoffnung, wenn es doch Momente der Besserung gab.
"Noch hier schon da" ist nicht nur die Geschichte einer Krankheit, sondern auch die Geschichte der Angehörigen, die mit dem langen Abschied umgehen müssen. Sie ist auch die Geschichte eines Lebens voller Enthusiasmus. Als Schauspieler und Regisseur hat Jochen Fölster intensiv gearbeitet und gelebt. Doch mehr und mehr übernimmt die Krankheit den Menschen, löscht ihn aus. "Das bin nicht mehr ich," murmelt Jochen Fölster vor dem Spiegel, intensiv sein ausgemergeltes, von der Krankheit gezeichnetes Gesicht betrachtend. Die Krankheit hat ihn von sich selbst entfremdet.
Immer wieder fühlt man sich während der 100-minütigen Dokumentation an Becketts "Glückliche Tage" erinnert. "Keine Schmerzen - fast keine. Keine Verbesserung - keine Verschlimmerung. Ein glücklicher Tag!" Kleine Momente der Erleichterung machen leidvolle Tage zu glücklichen.
Eine Reise in eine fremde Welt
Dreieinhalb Jahre lang hat Roswitha Ziegler gemeinsam mit ihrer Tochter ihren Lebensgefährten und Vater der gemeinsamen Tochter Rosa Hannah den Regisseur und Schauspieler Jochen Fölster auf seinem Weg von der Diagnose Krebs bis zum letzten Atemzug begleitet. Es ist ein Film über einem Rückzug - und darüber, wie die Angehörigen mit der Krankheit und dem langen Abschied umgehen. Eine Achterbahnfahrt von Hoffen, Resignieren, wieder Hoffen.
"Durch die Filmaufnahmen kann ich mich ein wenig distanzieren, versinke ich nicht
vollkommen in Angst und Panik," so Roswitha Ziegler über ihre Motivation, neben der aufreibenden Pflegetätigkeit auch noch die Anstrengungen eines Dokumentarfilms auf sich zu nehmen.
Sensibel beobachtet die Kamera die fortschreitende Reduzierung: Zuerst noch Gehen aus eigener Kraft, dann der Krückstock, dann der Rollator, der Rollstuhl. Irgendwann findet das Leben nur noch im Zimmer statt. Ein Krankenbett ersetzt das altgewohnte Bett. Am Schluss kann der Kranke sein Zimmer nur noch durch Gitterstäbe wahrnehmen - er hatte sich zuvor beim Herausfallen einen Rückenwirbel gebrochen. Lediglich der Blick in den Himmel bleibt ungestört.
"Noch hier schon da" ist ein wichtiger Film. Nicht nur, weil er schonungslos selbst die erbärmlichsten Momente nicht verschweigt, wobei er nie voyeuristisch wird. Er ist auch wichtig, weil der Umgang von Jochen Fölster mit seiner tödlichen Krankheit zeigt, dass selbst die tödlichste Krankheit Humor und Lebenslust nicht zwangsläufig zerstören muss. Mit Galgenhumor und Ironie nimmt er sein Schicksal auf - es ist für den Schauspieler die "letzte Rolle" die er noch zu spielen hat.
Sicher, irgendwann kommt der Punkt, an dem der Abschied unausweichlich wird und die Anstrengungen nur mit übermenschlicher Kraft auszuhalten sind. Auch das macht der Film deutlich: die Überforderung der Angehörigen im Umgang mit dem alltäglichen Leid. Mit ihrer Dokumentation holt Roswitha Ziegler den Sterbeprozess zurück ins Leben, raus aus seiner versteckten Ecke im privaten Hinterzimmer.
"Noch hier schon da" hat am Freitag, dem 20. Februar um 20.15 Uhr Premiere im Kulturverein Platenlaase.
Foto / Roswitha Ziegler: Noch kann der Kranke auf einem Fuß stehen. "Noch hier schon da" beobachtet eindringlich die fortschreitende Reduzierung auf immere engere Horizonte.