Die Zeiten wandeln sich - auch in puncto Protest. Ihn brachte jemand beim Röttgen-Besuch in Hitzacker mit einem Schuh zum Ausdruck: Kaum hatte der Minister das Podium betreten, landete vor ihm auf dem Tisch ein Winterschuh - recht dreckig und ziemlich abgetragen. Wandeln sich die Protestformen?
Vielen ist das Bild noch in Erinnerung: Bei einem Auftritt in Halle fliegen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl aus der Menge heraus Eier entgegen. (Faule) Eier und Tomaten gelten seit jeher als spür- und riechbarer Ausdruck des Unmuts, wenn ungeliebte Politiker oder schlechte Künstler vor Publikum agieren. Mark Twain berichtet sogar von toten Katzen, die unzufriedene Zuschauer auf die Theaterbühne werfen.
Vor Bundesumweltminister Norbert Röttgen "landete" am Montag in der Kreistagssitzung aber weder Ei, noch Tomate oder gar Katze, sondern ein schmutziger Schuh! Warum ein Schuh?? Was steckt hinter dieser Protest-Gestel? Allgemein bekannt wurde sie, als 2008 ein Journalist in Bagdad seine Schuhe auszog und sie gegen den damaligen US-Präsidenten George W. Busch schleuderte.
Die Zeitung "Handelsblatt "ging seinerzeit der Sache nach und stellte fest: "Der chinesische Regierungschef bekam sie in Cambridge entgegen geschleudert, der israelische Botschafter in Stockholm und die französische Forschungsministerin in Straßburg - Schuhe.". Im Eiltempo, so das Blatt, verbreite sich eine Protestform, die im Westen bislang unbekannt war. Hintergrund: Schuhe gelten im Islam als unrein, deshalb sei im muslimischen Raum ein Schuhwurf ein Ausdruck von Ablehnung und Verachtung. Das Handelsblatt zitiert dazu die Ethnologin
Jeanne Berrenberg von der Freien Universität Berlin: „In einer globalisierten und mediatisierten Welt machen sich auch kulturelle Handlungsformen auf die Reise. Sie werden in anderen Gesellschaften aufgegriffen und übernommen. „Unbekannte Symbole werden zu bekannten Zeichen. Auf diese Weise entstehen transkulturelle Gesten. Sie verbreiten sich in alle Richtungen."
Wie am Montag zu erleben war, auch bis nach Lüchow-Dannenberg. Auf "Wurf-Gesten" neuerer oder traditioneller Art und Weise war die Polizei beim Röttgen-Besuch durchaus vorbereitet: Unweit des Rednerpults hatten die Ordnungshüter mehrere Schutzschilde platziert.
Foto: Andreas Conradt