In Lüchow droht einer Roma-Familie akut die Abschiebung. Kein Einzelfall, wie Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat in einer Veranstaltung am Donnerstag zu berichten wusste. Im Gegenteil: das Land Niedersachsen versucht derzeit mit Druck, die Kommunen zur Abschiebung zu veranlassen.
Im Gegensatz zur Einschätzung des Auswärtigen Amtes, dass Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo keine Repressionen in ihrem Heimatland zu befürchten hätten, geht der Niedersächsische Flüchtlingsrat davon aus, dass die Situation der Roma im Kosovo weiterhin katastrophal ist. „Während die allgemeine Arbeitslosigkeit im Kosovo schon bei 80 – 90 % liegt, sind Roma dort sogar zu 98 % arbeitslos. Die meisten von ihnen leben von Schattenwirtschaft oder Spenden von Angehörigen oder Freunden, die im Ausland leben“, so Kai Weber am Donnerstag in der Veranstaltung in Lüchow.
Die Grünen hatten den Geschäftsführer des Flüchtlingsrates eingeladen, um sich von ihm die aktuelle Abschiebepraxis und mögliche Perspektiven für MigrantInnen erläutern zu lassen. Doch Weber hatte den MigrantInnen und ihren UnterstützerInnen wenig Erfreuliches mitzuteilen. „Das Land Niedersachsen übt derzeit massiven Druck auf die Kommunen aus, speziell Roma-Flüchtlinge abzuschieben. Dabei greift das Land sogar in einzelne Verfahren ein und erteilt gegebenenfalls auch Weisungen.“ Weber wusste sogar von Fällen zu berichten, in denen gegen Sachbearbeiter von Ausländerbehörden Disziplinarverfahren eingeleitet wurden, weil sie eine Abschiebung nicht veranlassen mochten.
Für das Land Niedersachsen gibt es keinen Grund, einen Abschiebestopp in den Kosovo zu verhängen. Denn die kosovarische Regierung hatte aus Dankbarkeit für die Anerkennung der EU zugestanden, Roma-Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Das auswärtige Amt sieht daher für Roma-Rückkehrer keine Gefahr mehr. Doch Kai Weber hatte durchaus andere Informationen über das Land: „Die Roma leben im Kosovo in einer Enklave. Wer versucht, seine verfassungsmässige Rechte einzufordern, wird weiterhin diskriminiert und verfolgt. Das Harmloseste ist noch, dass sie schlichtweg nicht angehört werden. Aber auch von Repressalien, Drohungen und körperlichen Übergriffen – auch von staatlichen Stellen – wird immer noch berichtet.“
So kämpft der Flüchtlingsrat weiterhin darum, dass ein Abschiebestopp für Roma-Flüchtlinge erreicht wird. Immerhin sah Kai Weber in dem aktuellen Vorschlag von Minister Schünemann, ein dauerhaftes Bleiberecht für Kinder zu erlauben -mit dem dann auch die Eltern bleiben könnten - , ein „positives Signal“. Aber erstens muss diesem Vorschlag zunächst von der Innenminister-Konferenz am 04. Dezember zugestimmt werden und zweitens bedarfs einer gesetzlichen Regelung, damit ein Bleiberecht „über die Kinder“ greifen kann. „Und dann bleiben immer noch viele Fragen offen“, so Weber.
Dem Landrat riet Kai Weber, seine Handlungsmöglichkeiten so weit wie möglich auszuschöpfen: „Der Landrat kann schon verlangen, dass eine Abschiebung solange vertagt wird, bis eine aktuelle Risiko-Abschätzung des Auswärtigen Amtes vorliegt. Auch kann er fordern, dass wenigstens bis zur Innenminister-Konferenz keine Abschiebungen durchgeführt werden.“ Darüber hinaus sah allerdings auch Weber wenig Chancen für die akut von Abschiebungen bedrohten MigrantInnen. Die siebenköpfige Roma-Familie aus Lüchow, die bereits seit 15 Jahren im Landkreis lebt und als „gut integriert“ gilt, muss also vermutlich damit rechnen, demnächst im frühen Morgengrauen von der Bundespolizei aus den Betten geholt und mit Handgepäck in das nächste Flugzeug in ihre kalte Heimat gesetzt zu werden.
Bernd Bruno Meyer, bis vor kurzem Abteilungsleiter für Integration beim Sportverein Lüchow, liegt das Wohl der Lüchower Roma-Familie sehr am Herzen. Über seine Sport-Tätigkeit hat er die Familie gut kennen gelernt. In einem Brief an Landrat Schulz, den Meyer wnet überließ, äußert er sein Entsetzen und Trauer über die anscheinend kurz bevorstehende Abschiebung. Hier ein Auszug aus dem Brief an Landrat Schulz: "... Vielleicht nicht ganz zufällig sind dadurch Menschen betroffen, gegen die sich die Volksmeinung zum Beispiel in unserer einzigen Tageszeitung durch Leserbriefe Luft gemacht hat. Wenn ich dagegen protestiert hätte, dann unweigerlich mit dem Hinweis, dass besonders die Kinder und Jugendlichen dieser Familie genauso wenig das förderliche Umfeld und eine „starke Hand“ für eine aktive Lebensbewältigung und Hineinwachsen in unsere Gesellschaft hatten wie immer mehr sozial schwache und benachteiligte deutsche Familien. Bei meinen zahlreichen Begegnungen mit Jugendlichen beider Lager ging es nicht nur nach dem Motto: „Hack-Pack schlägt sich – Hack-Pack verträgt sich“, sondern ich habe sogar den Eindruck, dass sich diese des gemeinsamen Makels bewusst sind. Und sie helfen einander auch, wenn man es ordentlich begründen kann Schade eigentlich, dass die „von oben“ verordnete Integration wenigstens in Lüchow-Dannenberg noch nicht richtig angekommen zu sein scheint. ...
Die (Familie Osmani) möchte ich Ihnen vorstellen. Sie heißen in Orgelpfeifen-Reihenfolge von oben nach unten: Emrah, Brendo, Halid, Senur und Adnan. Sie waren nicht immer vollzählig bei der Sache, aber wenn ich sagte: „Ich brauche Euch,“ dann waren sie da. Kennen lernte ich zuerst Senur . Er kam an den Sommerferien-Kanusteg und wollte in die Boote und ins Wasser. Dafür half er mir wochenlang mit all seiner Kinderkraft: Wir beide allein trugen ein ganzes Dreier-Kanu. Am Ende hatte er sich fast allein das Schwimmen beigebracht, und ich nahm ihm das „Seepferdchen“ ab. Adnan, den Jüngsten, sah ich in der elterlichen Wohnung. Er flehte mich an, beim Sport mitmachen zu dürfen. Nach seiner Einschulung durfte er endlich mit seinen vier Brüdern beim Reiten und Bogenschießen mitmachen.
Brendo und Halid habe ich neben ihrer aktiven Beteiligung besonders deshalb in Erinnerung, weil sie mir beim Auf- und Abbau für diese Veranstaltungen halfen – besonders beim mobilen Boxring - mit und ohne Boxhandschuhe. Eine besondere Rolle in meiner späten Beratungs/Coaching-Karriere spielt Emrah. Das ist der, wo zu oft zuschlägt, wenn er provoziert wird und sich nicht anders zu helfen weiß. Der bald 22jährige fragt sich und mich, warum der deutsche Staat und seine Helfer in all den Jahren nicht mehr dafür tun konnten, dass seine Eltern ihn besser und richtig für die deutsche Gesellschafts-, Lern- und Lebensordnung erziehen. Emrah jedenfalls will nicht länger als kleiner Zigeuner ohne Schulabschluss und Beruf leben.
Zur Zeit macht er dafür einen KVHS-Deutschkurs, integriert sich sozial bei der DRK-Ortsgruppe und im Sport, wie gesagt, als mein aktivster Helfer. Wegen seines Talents, sich auf Tätlichkeiten einzulassen, hat er psychologische Hilfe in Anspruch genommen, gegen Arbeitslosigkeit schon mehrere Praktika gemacht. Soll das jetzt alles umsonst gewesen sein? Im Kosovo wird er wenig Gelegenheit bekommen, auf diesem Weg fortzufahren. Da sind andere lebenserhaltende Eigenschaften gefragt, wie Stephan Dünnwalds Kosovo-Bericht von PRO ASYL vom Oktober 2009 aufzeigt. ...
Lassen Sie es nicht soweit kommen, dass Sie in vier Wochen mit Ihrer Familie am Tannenbaum oder in einer Kirche sitzen und „...mitten im kalten Winter...“ singen, im Bewusstsein, dass Sie eine vielköpfige Roma-Familie in eben diesen auf dem Balkan gejagt haben und in eine ungewisse Herberge in einer eher feindlichen Kosovo-Welt. Weil ich Weihnachten mit mir im Reinen sein möchte, stelle ich an dieser Stelle klar: Ich bin bereit, mich für den weiteren positiven Werdegang dieser fünf jungen Menschen persönlich zu verbürgen – zwar nicht bis zum Kreuz wie in Schillers „Bürgschaft“ – aber ziemlich weit. Sie, genauso wie ich, haben doch oft genug gesagt: Wir brauchen junge Menschen gegen den Alterungstrend. Bitte, gehen Sie den zahlreichen anderen Bürgern und mir voran, und lassen Sie uns einen Weg finden, dass die Roma hier bleiben können. Mit guten Wünschen für die Advents- und Weihnachtszeit ... Bernd Bruno Meyer.
Foto: Angelika Blank / Ernste Gesichter bei Emrah Osmani (li.), Kai Weber (Mitte) vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat und Martina Lammers (Kreisgrüne) auf der Veranstaltung am Donnerstag im Lüchower Ratskeller
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