Thema: geschichte

Später Prozess: 93-jähriger steht in Lüneburg wegen Naziverbrechen vor Gericht

Im Januar beginnt in Lüneburg einer der womöglich letzten großen Naziprozesse. Einem 93-jährigen wird vorgeworfen, während der NS-Zeit Beihilfe zu mindestens 300 000 Morden geleistet zu haben.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte die Anklage gegen den 93-jährigen bereits im September erhoben. Ihm wird vorgeworfen, zwischen Mai und Juli 1944 als Freiwilliger der Waffen-SS im Bereich der Gefangeneneigentumsverwaltung des Konzentrationslagers Auschwitz geholfen zu haben, das auf den Bahnrampen im Lagerbereich Birkenau zurückgelassene Gepäck neu eintreffender Häftlinge wegzuschaffen. Damit sollten die Spuren der Massentötung für nachfolgende Häftlinge verwischt werden. Vor allem aber sei es Aufgabe des Angeschuldigten gewesen, die aus dem Gepäck entnommenen Banknoten zu zählen und an das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS in Berlin weiterzuleiten.

Dem Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass die im Rahmen der Selektion als nicht arbeitsfähig eingestuften überwiegend jüdischen Häftlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft in eigens dafür errichteten Gaskammern ermordet wurden. Durch seine Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt.

Aus Rechts- und Beweisgründen wurde die Anklage auf den Zeitraum der sogenannten „Ungarn-Aktion" beschränkt. Seit der Besetzung des ungarischen Staatsgebietes am 19. März 1944 waren die dort lebenden Bürger jüdischer Herkunft Gesetzen mit antisemitischer Zielrichtung unterworfen. Sie wurden in Ghettos untergebracht und später in die „Endlösung der Judenfrage" einbezogen.

Zwischen dem 16. Mai und dem 11. Juli 1944 trafen im Lager Auschwitz-Birkenau mindestens 137 Eisenbahntransporte mit insgesamt etwa 425.000 Personen aus Ungarn ein, von denen - so die Anklage - mindestens 300.000 den Tod in Gaskammern fanden.

Frühere Ermittlungen gegen den Angeschuldigten wegen des Verdachts der Beteiligung an NS-Verbrechen hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am 06. März 1985 mangels Beweises eingestellt. Das nunmehr von der Staatsanwaltschaft Hannover angeklagte Verfahren beruhte auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Jene hatten am 19. Februar 2014 zu bundesweiten Durchsuchungen von Wohnungen ehemaliger SS-Angehöriger geführt. Über den Hintergrund der Ermittlungen hatte zuletzt das Magazin „Der Spiegel" in seiner Ausgabe vom 28. August 2014 berichtet.

Der zuständigen Kammer beim Landgericht Lüneburg lagen im September schon sechszehn Anträge von Überlebenden und Angehörigen von Opfern der „Ungarn-Aktion" auf Zulassung zur Nebenklage vor.

Insgesamt waren bei der Staatsanwaltschaft Hannover, die in Niedersachsen eine Sonderzuständigkeit für die Verfolgung von NS-Verbrechen hat, vier Ermittlungsverfahren gegen ehemalige SS-Angehörige aus dem Konzentrationslager Ausschwitz anhängig. Drei dieser Verfahren wurden wegen Todes bzw. ärztlich festgestellter dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit der Tatverdächtigen eingestellt.

Übrigens: bereits der erste Nazi-Kriegsverbrecherprozess wurde - von den Engländern initiiert - vor dem Landgericht Lüneburg geführt. Nun findet rein zufällig die Geschichte der NS-Prozesse vermutlich auch dort sein Ende.




2014-12-27 ; von asb (autor), pm (autor),
in Salzstraße 1, 21335 Lüneburg, Deutschland

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