Unheilige Familie

Verrückt war Tina schon immer. Früher Punk, heute Chamäleon. Beides von der Pike auf gelebt. Bei ihr muß man auf alles gefaßt sein, in Deckung gehen oder mitziehen. Ich mag das. Ich habe viel von Tina gelernt, andere tun sich damit schwerer. Tina kann anstrengend sein. Besonders für Gabi.


Gabi liebt Tina, aber sie haßt es, wenn das Leben mal wieder mit Tina durchgeht. Beim letzten Christopher-Street-Day hatte sich Tina aus dem Theaterfundus einen Fat Suit besorgt und lief den ganzen Tag als wabbelige Schlampe herum. Gabi stocksauer, für sie war die Party gelaufen. Vielleicht war sie aber auch nur eifersüchtig, weil Tina und ich an diesem Tag so viel Spaß hatten.

Gabi ist neuerdings oft auf mich eifersüchtig. Vermutlich, weil Tina die Idee mit dem Kind ins Gespräch gebracht hat. Ich selbst könnte mir diese Art Vaterschaft durchaus vorstellen, aber nicht zusammen mit Gabi. Da ist mir die Freundschaft zu Tina wichtiger. Inzwischen überlegen die beiden, sich einen anonymen Spender zu suchen. Vielleicht könnte ich so etwas wie ein Patenonkel sein. Das nötige Korrektiv gegen zu viel Frauenpower. Nötig wär’s!

Als wir letzte Woche zusammen bei Karstadt waren, konnte ich Tina gerade noch davon abhalten, einen dieser Frisier- und Schminkköpfe zu kaufen.

„Woher willst du überhaupt wissen, daß es ein Mädchen wird?!“

Tina hat nur gelacht. „Schminken sich Jungs etwa nicht?!“ 

Grundgütiger! Man stelle sich vor, dieses Kind will ganz einfach hetero sein.

Eines hab’ ich in all den Jahren gelernt: in solchen Situationen bloß keine ernsthafte Diskussion beginnen! Als Tina auf die Idee mit der Weihnachtskrippe kam, hätte ich eigentlich hart bleiben sollen. Ich bin zwar nicht besonders gläubig, aber dem Jesuskind zwei Lesben als Eltern zu geben, kommt mir doch ein bißchen gotteslästerlich vor.
„Bitte besorg sie mir! Eine Krippe mit zwei Marias, ja?!“

Tina kann wunderschön bitten. Und ich kann wahnsinnig schlecht Nein sagen. Schwierig wurde es, weil Tina zwei verschiedene Marias wollte. Verschieden im Aussehen und möglichst spiegelverkehrt. Wegen der Symmetrie. Und damit das Kind sie auseinander halten kann.  

Damit schied der Kauf von preisgünstigen Einzelfiguren aus. Die sind nämlich alle gleich – von den schlampig aufgemalten Mündern und Augen mal abgesehen. Kinder in China haben vermutlich allen Grund, es mit dem Make-up unserer Heiligen nicht so genau zu nehmen. In Frage kamen nur die Komplett-Angebote mit Stall, Ochs und Esel, Josef und Maria. Das heißt, ein Josef, egal wie enthaltsam, kam natürlich nicht in Frage. Den sollte ich, so Tinas Plan, unauffällig gegen eine Maria aus einem anderen Emsemble austauschen.

Wenn ich an Ladendiebstahl auch nur denke, stellen sich mir die Nackenhaare schon hoch. Das geht so weit, daß ich im Kaufhaus meine Nase lieber mit dem Handrücken abwische, als daß ich eine verdächtige Handbewegung in Richtung Hosentasche mache. Nun sollte ich vier handgeschnitzte Hetero-Heilige zu einem Lesben- und einem Schwulenpaar machen.

„Warum ziehst du die Sache nicht selbst durch?“, drängte ich Tina, „du bist doch die viel Coolere von uns beiden“.

Tina schüttelte den Kopf. „Dann ist es doch aber keine Überraschung mehr!“

Manchmal verschlägt mir Tinas Logik die Sprache. Was, zum Teufel, sollte daran eine Überraschung sein?

„Daß du dich traust, natürlich!  Außerdem wäre es ein schönes Friedensangebot an Gabi. Und eine gute Übung für dich als Paten“.

Mit einem Grinsen tupfte Tina einen Kuß in meine Richtung und wandte sich zur Rolltreppe, um ein neues Gummi für ihre Espressokanne zu besorgen.

Ich sah mich um. Überall weihnachtliches Gewusel und jeder mit sich selbst beschäftigt. Also eigentlich keine große Sache. Schließlich wollte ich nichts klauen, sondern lediglich einen Partnertausch arrangieren, wie er tagtäglich und überall passiert. Warum sollte Bethlehem in der Familienstatistik eine Ausnahme machen?

Mit vermeintlichem Kennerblick hielt ich die Sets gegeneinander, verglich Haltung und Ausdruck der Figuren, überprüfte die Feinheit der Linienführung und unterzog im Tageslicht der Glasfassade sogar die Maserung einer genauen Prüfung. Der Gang dorthin schien mir für die geplante Rochade genau der richtige Moment zu sein.

Niemand schöpfte Verdacht. Ein schneller Handwechsel und schon war die rechtsbetende Maria auf dem Weg zu ihrem linksbetenden Gegenstück. Ohne großen Protest ließ sie sich in die freigewordene Styroporhöhlung drücken. Schwierigkeiten machte der Josef. Da die abtrünnige Maria wesentlich kleiner war als er, fand er wieder mal keinen Platz in der Herberge. Josef muckte auf. Enthaltsam leben war eine Sache. Aber eine Männer-WG? 

Bis hierher hatte ich die Sache souverän durchgezogen, jetzt aber wurde ich hektisch. Ich drückte und preßte, schob hierhin und dorthin, polkte Löcher in das Styropor und brach am Ende sogar dem Esel ein Bein ab. Kurzum, ich tat alles, was man bei so einer heiklen Mission am besten nicht tut.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eine Hand griff nach dem Karton.

Ich atmete den blassen Duft von Rasierwasser und nahm aus den Augenwinkeln ein Sacko mit Plastikschildchen wahr. Zum Glück nicht der Kaufhausdetektiv, sondern ein Verkäufer.

„Ich glaube, Sie haben da etwas verwechselt...“
Ich gab mich überrascht. „Tatsächlich? Wie dumm von mir!“

Blond, dunkle Brauen, Drei-Tage-Bart. Ein Mann zum Träumen – wenn er mich nicht gerade bei diesem peinlichen Betrugsversuch erwischt hätte. Ich schaute in seine blaubunt gesprenkelten Augen, öffnete den Mund und versuchte eine Erklärung. Aber sein Lächeln ließ mich nicht.

„Ich habe auch schon mal daran gedacht“, sagte er mit einem versteckten Zwinkern, „aber was macht man dann mit dem Gegenstück?“

In diesem Moment sah ich Tina mit ihren Espressoringen im Gang stehen. Mit einem Blick hatte sie die Situation erfaßt. Tina weiß: Wenn es darauf ankommt, kriege ich den Mund einfach nicht auf. Mit wenigen Schritten war sie bei mir.

„Kein Problem“ sagte sie. „Ich nehme die anderen.“

An Heiligabend war Micha bei seiner Mutter, aber am zweiten Feiertag kam er dann zu mir. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen eigenen Weihnachtsbaum. Und natürlich eine Krippe! Der eine Josef steht links gewendet, der andere rechts. Doch wenn man ganz genau hinsieht, dann schauen die beiden nicht auf das süße Kind in der Mitte, sondern grinsen sich unverhohlen an. Dabei könnte sich Micha so eine Art Vaterschaft durchaus vorstellen. Tina findet ihn nämlich nett.
Aber erst mal, erst mal gehört er mir.




2009-12-05 ; von Peter Bauhaus (autor),

 

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