Bösartige Islamisten, schlimme Scientologen, garstige Rechtsradikale, Wirtschaftsspione, diverse Linksgerichtete – all sie finden sich im Verfassungsschutzbericht für 2010 wieder, den Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) am Mittwoch der Presse präsentierte. Natürlich dürfen auch Atomkraftgegner nicht fehlen in der Reihe derer, welche die Schlapphüte aufmerksam beobachteten.
Für Linksextremisten sei der Kampf gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie seit mehr als 30 Jahren ein Themenschwerpunkt ihres militanten Widerstandes, vermeldet die fast 240 Seiten lange Bilanz der Verfassungsschützer aus Hannover. Sie differenzieren allerdings zwischen braven und bösen Atomprotestlern, heißt es doch im Bericht: „Von den auf Systemüberwindung ausgerichteten linksextremistischen Aktivitäten gegen Atomenergie und Castor-Transporte sind diejenigen demokratischer Organisationen zu unterscheiden.“
„Ziel ist das politische System“
Linksextremistische Atomenergiegegner, wissen die Geheimdienstler, „zielen mit ihren Protesten über den eigentlichen Demonstrationsanlass hinaus auf die Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland“. Das politische Aktionsfeld „Anti-Atom-Protest“ habe allerdings in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, „so dass sich Linksextremisten über die Grenzen Niedersachsens hinaus nur noch in geringem Maße für Widerstandsaktionen mobilisieren ließen“. Das habe zum einen daran gelegen, dass andere linksextremistische Themen wie zum Beispiel Antifaschismus oder der Abbau von Sozialleistungen den Bereich Kernenergie überlagerten. Zum anderen, so erinnert der Verfassungsschutz, hatten die Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen im Jahr 2000 den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Jahr 2021 vereinbart. „Dadurch verlor das Aktionsfeld „Anti-Atom-Protest“ an Bedeutung“, schreiben Schünemanns Nachrichtensammler.
Zunehmendes Protestverhalten
Aber: Seit 2008 sei wieder ein zunehmendes Protestverhalten zu verzeichnen. „Im Vergleich zum zehnten Castor-Transport 2006, bei dem sich – laut Verfassungsschutzbericht - lediglich 3500 Menschen an Protestaktionen beteiligten, habe sich die Mobilisierung der Anti-Atom-Bewegung zum 11. Castor-Transport 2008 im Bereich des Wendlandes bereits vervierfacht.
An den Protestaktionen gegen den 12. Castor-Transport nach Gorleben vom 5. bis 9. November beteiligten sich bundesweit bis zu 30.000 Atomkraftgegner, bilanziert die Sicherheitsbehörde, doppelt so viele wie 2008, als rund 14 500 Widerständler gezählt worden seien. Allein an der Auftaktveranstaltung am 6. November in Splietau hätten etwa 25 000 Personen teilgenommen. Die Anzahl der Autonomen aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich an den Protesten in Lüchow-Dannenberg beteiligten, habe sich 2010 im Gegensatz zu den Vorjahren auf etwa 300 Personen verdoppelt.
Ursächlich für den Zulauf der Protestbewegung sei die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, meint der Verfassungsschutz, ebenso „die Vorkommnisse“ im Atommülllager Asse und die Aufhebung des Moratoriums zur Endlagererkundung.
„X-tausendmal-quer“ linksextremistisch beeinflusst
Der Castor-Transport 2010 sei besonders in Niedersachsen von Atomkraftgegner erheblich gestört worden, so dass mehr als 92 Stunden bis zum Erreichen des Zwischenlagers benötigt wurden, blickt der Geheimdienst zurück. Atomkraftgegner hätten beispielsweise an verschiedenen Orten Schienenkrallen angebracht, Sitzblockaden sowie Ankett- und Abseilaktionen durchgeführt.
Mit Hilfe von Treckern auf Straßen und Verbindungswegen seien die gesamte Verkehrsinfrastruktur systematisch blockiert und die Einsatzkräfte massiv behindert worden. Etwa 3500 Personen hätten sich auf der Straße zum Zwischenlager an einer friedlich verlaufenen Sitzblockade beteiligt. Zu dieser habe „die linksextremistisch beeinflusste Organisation „X-tausendmal quer“ aufgerufen.
„Vermummte warfen mit Feuerwerk“
Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörde haben etwa 100 militante Autonome während der friedlichen Auftaktdemonstration rund 30 Einsatzkräfte hinter einer Bühne eingeschlossen. In der Nähe der Umladestation bei Breese/Marsch hätten etwa 150 Aktivisten versucht, „unter dem Schutz laufender Traktoren eine der möglichen Transportstrecken mit Schaufeln zu unterhöhlen“. Nach weiterem Zulauf habe sich die Anzahl auf rund 300 schwarz gekleidete und vermummte Personen erhöht.
„Sie schlossen die zahlenmäßig unterlegenen Einsatzkräfte ein, bewarfen sie mit Steinen und Feuerwerkskörpern und attackierten sie mit angespitzten Holzstangen und Lanzen“, schreibt Schünemanns Geheimdienst. Ein Sonderwagen der Polizei sei mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angesteckt worden. Insgesamt seien während des Einsatzverlaufes 78 Polizeibeamtinnen und –beamte durch Fremdeinwirkung verletzt, mehrere Einsatzfahrzeuge beschädigt worden.
Geprägt von Kampagne „Castor? Schottern!“
Die Proteste gegen den Castor-Transport seien neben zahlreichen friedlichen Aktionen insbesondere von der Kampagne „Castor? Schottern!“ geprägt. „ Dieser maßgeblich durch linksextremistische oder linkextremistisch beeinflusste Organisationen und Gruppen initiierten Kampagne lag das Konzept zu Grunde, durch das Unterhöhlen von Gleisabschnitten die Schienenstrecke für den Castor-Transport unpassierbar zu machen“, stellt Niedersachsens Verfassungsschutz fest.
Foto: Timo Vogt / randbild - Castortransport 2010 - ein von Greenpeace umgebauter Bierlaster machte der Polizei stundenlang zu schaffen. Im Inneren hatten sich mehrere Aktivisten fast unlösbar mit dem Strassenboden verkettet - direkt vor der Ausfahrt aus dem Verladekran in Dannenberg.