Als Milch-Landwirt hat Hansi Zachow sowieso schon schwer mit massiv sinkenden Preisen zu kämpfen. Nun muss er - wie rund 180 weitere Landwirte in Lüchow-Dannenberg - auch noch für Monate auf seine Flächenprämie verzichten. Ein Umstand, der viele Landwirte an den Rand der Insolvenz bringt.
Bereits im Frühjahr hatte die Landwirtschaftskammer die Vermessungsflüge über den landwirtschaftlichen Flächen durchgeführt. Ergebnis: bei rund 200 Landwirten in Lüchow-Dannenberg ergaben sich Differenzen mit den für die Flächenprämie angemeldeten landwirtschaftlichen Flächen. "Im Oktober wurden dann bei mir Vor-Ort-Vermessungen durchgeführt, um die Diskrepanzen zu klären", so Hansi Zachow. "Im Gegensatz zur Befliegungsmessung, die 2 ha Differenz ergab, wurden bei der Vor-Ort-Vermessung nur noch 1 ha Differenz zu meinen insgesamt 150 ha bewirtschafteter Flächen gemessen." Der Landwirt versteht nicht, warum wegen so einer geringen Differenz die gesamte Flächenprämie, die immerhin im fünfstelligen Bereich liegt, nicht ausgezahlt wird. "In anderen Bundesländern ging das doch auch. Dort wurden eben 70 oder 80 % der Prämien ausgezahlt und der Rest zurück gehalten."
Wer nun glaubt, die Landwirte hätten falsche Flächenangaben gemacht, der irrt. Das Problem ist ganz simpel: die Ackerränder, ob nun gegen Hain oder Wald oder gegen den Nachbar-Bauern, lassen sich nicht auf den Zentimeter genau pflügen. In diesem Jahr gehts mit dem Pflug ein wenig weiter nach links, dafür am anderen Ende ein wenig weiter in den Nachbaracker. So ergeben sich jährlich kleine Verschiebungen, die oft nur einen halben Meter pro Ackerstreifen ausmachen. Bei manchen Landwirten beträgt die finanzielle Differenz sogar nur einige Euros. So mancher hätte vielleicht sogar auf die Auszahlung dieser kleinen Unstimmigkeiten verzichtet. Doch diese Möglichkeit wurde den Landwirten gar nicht erst gegeben.
Auch Martin Schulz, ebenfalls Landwirt und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirte, versteht nicht, warum in Niedersachsen nicht möglich sein soll, was in anderen Bundesländern geht: "Die Landwirtschaftskammer hätte nach meinen Informationen bis September Antrag auf 80%ige Auszahlung stellen müssen. Das haben sie nicht getan. Nun müssen wir auf unser Geld warten." Schulz zum Beispiel ist einer jener Landwirte, denen die Möglichkeit zum Verzicht auf wenige Euros Differenz gar nicht erst gegeben wurde. "So ein Angebot habe ich nie erhalten", so der Landwirt.
Thorsten Hollmann-Hespos, Landwirtschaftskammer Hannover, erklärt die lange Bearbeitungszeit damit, dass viele Landwirte eine Vor-Ort-Überprüfung der aus der Luft gemessenen Daten gefordert hätten. "Dadurch entstand ein erheblicher Zusatzaufwand, den wir erst vor kurzem abschließen konnten", so der Sachbearbeiter der Landwirtschaftskammer in Hannover.
Aber warum entstanden die Probleme hauptsächlich in Lüchow-Dannenberg und teilweise in Bremervörde? "Das erklärt sich aus der landschaftlichen Struktur der Region", so Hollmann-Hespos, "In Lüchow-Dannenberg haben wir es mit vielen Heckenstreifen, Baumbewuchs zwischen den Feldern oder ineinander übergehenden Ackerflächen zu tun. Das lässt sich aus der Luft nicht immer gut erkennen, obwohl wir mit einer sehr verbesserten Auflösung arbeiten." Damit trat der Landwirtschaftssprecher auch ersten Medienbehauptungen entgegen, die einen Fehler in der Beobachtungssoftware als Ursache des Problems beschrieben.
Das Landwirtschaftsministerium versteht nicht, warum eine verzögerte Auszahlung den Landwirten existenzielle Probleme bereiten sollte. Dr. Gert Hahne, Sprecher des Ministeriums: "Normalerweise wäre die Flächenprämie erst im Juni 2010 ausgezahlt worden. Wir hatten den Termin in Niedersachsen schon auf Dezember 2009 vorgezogen. Eine 80%ige Auszahlung ist aus unserer Sicht gar nicht möglich, dennn die EU besteht strikt darauf, dass die Kontrolle und Überprüfung der für die Auszahlung notwendigen Grundlagen wie Flächengrößen etc. abgeschlossen sein muss bevor wir auszahlen. Halten wir uns nicht an diese Spielregel, dann gehen wir ein Anlastungsrisiko ein, was heisst, das wir mehrstellige Millionenbeträge zahlen müssten, wenn die EU zu der Erkenntnis kommt, dass wir nicht ordnungsgemäß geprüft haben. Diese womöglichen Rückforderungen sind dann vom zuständigen Ressort - also dem Landwirtschaftsministerium - zu tragen."
Dieses vermeintliche Vabanquespiel wollte das Ministerium nicht eingehen. "Letzendlich würden in einem solchen Fall alle Niedersachsen in Regreß genommen. Wenn man mit Geld aus Europa in Anspruch nimmt, muss man mit Richtlinien arbeiten", so Hahne. Im Gegensatz zu den Befürchtungen der Landwirte hofft der Pressesprecher, dass das Problem spätestens Ende Januar, Anfang Februar behoben ist. Ausserdem gelte die Ankündigung der Flächenprämie wie Bargeld und sollte bei den zuständigen Banken Kredite für die betroffenen Landwirte möglich machen. Landwirte wie Hansi Zachow wissen dagegen, dass nicht alle Landwirte die Chance haben, die Durststrecke mit Krediten der Bank zu überbrücken. Für manche der betroffenen Landwirte, die wegen der massiv gesunkenen Milchpreise sowieso schon mit dem Rücken an der Wand stehen, könnten die Verzögerungen bei der Auszahlung der manchmal sechsstelligen Flächenprämien das endgültige Aus bedeuten.
Für Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, ist der Verweis auf europäische Vorgaben eine Ausrede. "Brüssel die Verantwortung zuzuschieben, ist falsch. In benachbarten Bundesländern haben ja Auszahlungen der Prämien mit Vorbehalt statt gefunden. Aus meiner sicht gibt es eine Mischung aus Unfähigkeit und Zögerlichkeit bei den Verantwortlichen. Die Hauptlast tragen jetzt die Bauern im Landkreis Lüchow-Dannenberg, die viele Hecken und mehr Baumbestand auf ihren Flächen haben. Und gerade das ist doch gewollt und soll gefördert werden. Die Verantwortlichen in Niedersachsen riskieren den Konkurs der Bauern statt eines begrenzten Konfliktes mit Brüssel, den sie sicher gewinnen würden."
Thorsten Hollmann-Hespos, zuständiger Sachbearbeiter bei der Landwirtschaftskammer mochte sich zu den EU-Vorgaben nicht äußern. "Das ist Sache des Ministeriums. Wir als nachgeordnete Behörde sind gehalten, uns an die Spielregeln des Landes zu halten." Darüber hinaus verwies Hollmann-Hespos auf ein kompliziertes, automatisiertes Verfahren, dass es nur mit "erheblichem" Aufwand zulasse, individualisierte Abrechnungen zu erstellen. "Desweiteren konnten die Landwirte über die Liquiditätshilfen, die sie im Sommer hätten beantragen können, ihre finanzielle Situation verbessern." Nach den Aussagen von Thorsten Hollmann-Hespos können die Landwirte "wenn nichts schief geht", wohl Mitte Januar mit den Bewilligungsbescheiden rechnen und Ende Januar mit der Auszahlung.
Wie gesagt: wenn nicht wieder etwas schief geht in niedersächsischen Behörden und Amtsstuben. ...
Für Hansi Zachow ist das nur ein kleiner Trost: "Wir haben immer wieder den Eindruck, dass wir von der Landwirtschaftskammer allesamt für Schwerverbrecher und Betrüger gehalten werden. Wir würden auch lieber reelle Preise für unsere Produkte erzielen als auf Ausgleichszahlungen angewiesen zu sein."
Foto: Ein sogenannter "Blühstreifen" am Rand eines Feldes
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