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Ankauf Neu Tramm - eine endlose Geschichte

Nach monatelangem Hin und Her soll der Kreistag am Montag über den Ankauf des ehemaligen Kasernenkomplexes in Neu Tramm durch den Landkreis entscheiden.

Unterbringung von zahlreichen Geflüchteten und Schaffung von bezahlbarem Wohnraum - zwei akute Probleme, für die es dringend Lösungen braucht. Das Kasernengelände in Neu Tramm bietet dafür zahlreiche Möglichkeiten - weshalb die Kreisverwaltung sich seit Monaten bemüht, von den politischen Gremienen einen Ankauf des Geländes genehmigt zu bekommen. Aus politischen Kreisen ist zu hören, dass dieser Ankauf ihnen immer wieder als alternativlos dargestellt wurde, was die Unterbringung von Geflüchteten angeht.

Die Geschichte um den Ankauf und die Nutzung des ehemaligen Kasernengeländes in Neu Tramm ist verwirrend. Frühere (2015) Versuche des Landes, das Gelände zu kaufen, scheiterten an immer wieder neuen Forderungen des Eigentümers. Entnervt stieg das Land damals aus und richtete die für Neu Tramm geplante Außenstelle des Bundesamts für Migration woanders ein.

Im April begann dann ein Verwirrspiel über den Ankauf des Geländes durch den Landkreis. Zunächst wurden Kaufverhandlungen über das gesamte Gelände "Neu Tramm" geführt, nachdem das Land dringend eine Unterbringung von rund 500 Heimkindern aus der Ukraine suchte. Dafür hatte das Land finanzielle Unterstützung signalisiert. Diese Notwendigkeit hatte sich bald erledigt. Die finanziellen Zusagen des Landes galten nicht mehr. Der Ankauf durch den Landkreis war vom Tisch. Dennoch wurde vom Kreistag im Mai ein Nachtragshaushalt mit einer Kreditermächtigung für bis zu 19 Millionen Euro verabschiedet - mit der Begründung der Landrätin, "dass man eventuell plötzlich doch wieder anders handeln müsse". (Zitat EJZ vom 3.5.2022). Das war im Mai.

Unterkunft für Geflüchtete - und dann?

Im Juli nahm der Kreistag diesen Beschluss wieder zurück, da die Auflage, dass es Unterstützung von der Landesregierung gebe, nicht erfüllt sei. Das Projekt "Ankauf von Neu Tramm" schien nun endgültig vom Tisch zu sein.

Das gesamte Gelände für rund 20 Millionen Euro nur zur Unterbringung von Geflüchteten ankaufen? Von Anfang an gab es grundlegende Zweifel in den verschiedenen politischen Gremien, ob eine zentrale Unterbringung von Geflüchteten wünschenswert sei. Vor allem die Abgeordneten von Grüne, SOLI und SPD äußerten sich deutlich gegen eine Sammelunterbringung. Wenn Ankauf, so die Haltung, dann ausgesprochen nur als Zwischenlösung mit einem Gesamtkonzept für die Folgenutzung.

Anfang September legte die Kreisverwaltung dem Ausschuss für Finanzen, Controlling und Personal wiederum ein "Konzeptpapier" vor, welches davon ausging, dass der Landkreis das Gelände ankauft. Von den Abgeordneten wurde das Papier als "Wolkenkuckucksheim" heftig kritisiert. Der Fachausschuss lehnte es damals ab, dass der Landkreis das Gelände selber kauft - das Konzept solle jedoch weiter verfolgt und präzisiert werden.

Dennoch setzte die Kreisverwaltung Mitte September das Thema wieder auf die Tagesordnung - erneut mit einen Beschlussvorschlag, das Gelände als Landkreis anzukaufen, mit dem gleichen Konzeptpapier als Anlage. Warum der Tagesordnungspunkt wieder abgesetzt wurde, bleibt bisher im Dunkeln.

Zum nächsten Kreistag am Montag (12. Dezember) steht nun wieder der Ankauf des Geländes durch den Landkreis auf der Tagesordnung. Dieses Mal mit einer Beschlussvorlage, die als "Raumnutzungskonzept" lediglich die Unterbringung von Geflüchteten vorsieht.

Auf ein Neues

In einer neuen Variante der Beschlussvorlage wird von der Verwaltung erneut der Ankauf des Geländes vorgeschlagen - mit der Variante, dass das Gelände als Erstaufnahmeeinrichtung an das Land Niedersachsen vermietet wird. Womit sich das Rad  auf den Stand von 2015 zurückgedreht hat - mit dem Unterschied, dass dieses Mal der Landkreis mit dem Eigentümer über einen Ankauf verhandelt und nicht das Land.

In einer noch neueren (9.12.2022) Variante des Beschlussvorlags für den Kreistag wird erneut ein "aktuelles Mietangebot" des Landes als Grundlage für die Finanzierungsberechnung genommen. Demnach wird eine Mietdauer von 10 Jahren angestrebt, grundsätzlich sei für das Land ein Mietpreis für Unterkunfts-Gebäude in Höhe von ca. 5,- Euro/qm akzeptabel, wird den Abgeordneten von der Kreisverwaltung vorgerechnet. Die monatliche Miete durch das Land würde ca. 64 000 Euro betragen, außerdem sei in Aussicht gestellt worden, dass ein erhöhter Mietbetrag von bis zu 7,50 Euro/qm denkbar sei, deshalb könne von einer Miete von 96 000 Euro/Monat ausgegangen werden. 

Am gleichen Tage (9.12.2022) war bei der Kreisverwaltung eine Mail des Innenministeriums eingegangen, in der das Ministerium zwar ein "hohes Interesse" äußert, die Liegenschaft durch die Landesaufnahmebehörde für die Unterbringung von Flüchtlingen anmieten zu wollen, aber die "Zusicherungen" über eine finanzielle Beteiligung sehr relativiert.

Nach der Mail aus dem Ministerium muss

1. die Höhe des Mietzinses vom Landesliegenschaftsfonds genehmigt werden. Die Höhe des Mietzinses sei daher noch offen.
2. Es gibt noch keine Einigung darüber, wer die Kosten für die Ertüchtigung der Gebäude für die Zwecke des Landes sowie notwendige Reparatur- und Gebäudeunterhaltungsmaßnahmen übernimmt. Jedenfalls würden "klassischerweise solche Kosten vom Vermieter einer Liegenschaft getragen".
3. Wenn das Land Herrichtungskosten übernimmt, würde sich das auf den Mietzins "deutlich mindernd auswirken".
4. Für die Anbindung des Geländes an den ÖPNV wird das Land keine Kosten übernehmen.

Dennoch empfiehlt auch der aktuellste Beschlussvorschlag der Kreisverwaltung vom 9.12. den Ankauf - unter dem Vorbehalt, dass Tilgung und Zinsen für die Kreditaufnahme des Landkreises 10 Jahre lang "durch die Mietzahlungen des Landes in Höhe von mindestens 110 000 Euro gedeckt sind. Sämtliche Nebenkosten für den laufenden Betrieb sowie Reparaturen und die Kosten der Ertüchtigung der Liegenschaft als Unterkunft für Geflüchtete und Vertriebene sind für die Dauer der Mietzeit durch das Land Niedersachsen zu tragen. Das Land muss dem Landkreis zusichern, dass eine Entwicklung des Geländes parallel zur Nutzung als Unterkunft für Geflüchtete und Vertriebene gesichert ist."

In seiner Berechnung des Schuldendienstes geht die Verwaltung von mindestens 25 Jahren Kredittilgung + -zinsen aus. Über die Finanzierung (und Weiternutzung) nach Ablauf von zehn Jahren gibt es bisher keine belastbaren Aussagen.

Es gab ernsthaft interessierte Investoren

Während Kreisverwaltung und politische Gremien sich seit Monaten mit der Frage beschäftigen, ob der Landkreis kaufen solle oder nicht, gab es bereits Anfang des Jahres eine Investorengruppe, die sich ernsthaft für die Liegenschaft Neu Tramm interessierte.

Der Immobilienentwickler Boris Campanale aus Kröte hatte mit seinen Kollegen von den "Grünen Komplizen" aus Lüneburg und Belius aus Berlin ein umfassendes Konzept entwickelt, wie das weitläufige Gelände genutzt werden könne. Die Unterbringung von Geflüchteten wurde dabei zwar mitgedacht, war aber lediglich als Zwischenlösung vorgesehen. Eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Wirtschaften mit Wohnungen, die auch für kleinere Geldbeutel bezahlbar sind - eine nach ökologischen und sozialen Kriterien entwickelte Siedlung sollte entstehen. 

Nach mehreren - aus Campanales Sicht - sehr positiv verlaufenen Gesprächen mit dem Eigentümer, der Landrätin sowie Elbtalaues Samtgemeinde-Bürgermeister Jürgen Meyer, wurde ein vereinbarter Besichtigungstermin ohne Gründe zu nennen, abgesagt.

"Seitdem haben sich weder der Eigentümer noch die Landrätin noch Samtgemeinde-Bürgermeister Meyer bei uns gemeldet," wundert sich Campanale. "Ich hörte dann, dass der Eigentümer die gesamte Kommunikation in Sachen Verkauf an die Landrätin übertragen habe. Diese wiederum signalisierte uns, dass der Eigentümer 'eh nicht an uns verkaufen wolle'". 

Campanale vermutet allerdings, dass die Landrätin ohne ernsthafte Prüfung von Alternativen vehement daran arbeitet, dass das Gelände vom Landkreis gekauft wird. Landrätin Dagmar Schulz dementiert das entschieden. "Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der Ankauf durch den Landkreis nachrangig ist," so Schulz. "Der Landkreis hat überhaupt nichts dagegen, wenn diese Investorengruppe gekauft hätte, im Gegenteil, diese Gruppe hat ein tolles Konzept vorgelegt. Ich habe dafür sogar noch Werbung gemacht." Aber der Eigentümer habe nicht an diese Investoren verkaufen wollen, sondern nur an den Landkreis.

Auch interessant: nach Aussagen von Dagmar Schulz will das Land das Gelände mit der Begründung nicht kaufen, dass man nicht wisse, "was das Land mit dem Gelände machen soll, wenn die Geflüchtetensituation vorbei ist."

Das Raumnutzungskonzept, welches der Landkreis dem Beschlussvorschlag angehängt hat, geht ebenfalls nur von einer Nutzung für die Geflüchtetenunterbringung aus. Über Nachnutzungsmöglichkeiten macht dieses Konzept keinerlei Aussagen. Dazu gibt es bisher nur das "Konzeptpapier", welches im September von den Ausschuss-Mitgliedern als "Wolkenkuckucksheim" abgetan wurde - und vage Aussagen über womögliche Interessenten aus dem Bereich der Kreativwirtschaft und nachhaltig arbeitenden Unternehmern.

Die ÜFest als nachhaltiges Modellprojekt

Für die Entwicklergruppe rund um Boris Campanale ist des Projekt Neu Tramm vorerst "gestorben". Stattdessen hat sie bereits Vorverträge über den Ankauf der früheren Übersee-Funkempfangsstelle (ÜFest) in Woltersdorf abgeschlossen. Dieser - ebenfalls recht weitläufige - Gebäudekomplex wurde zu Castorzeiten von der niedersächsischen Polizei als Unterkunft für rund 1000 Polizisten und 2015/2016 als Notunterkunft für bis zu 700 hundert Geflüchtete genutzt. Derzeit besteht noch bis 2025 ein Mietvertrag mit dem Land für Fortbildungsseminare der Polizei. Diese würden aber ausgesetzt, solange Geflüchtete in dem Gebäude wohnen.

Nach den Vorstellungen der Entwicklergruppe sollen auf dem ÜFest-Gelände in den bereits vorhandenen Gebäuden 46 Wohnungen eingerichtet werden. Tiny House-Stellplätze, Räume für Werkstätten, Ateliers und Gemeinschaftsräume gehören ebenfalls zum Konzept. "Zum Gesamtkonzept gehört es auch, Mobilitätsangebote mitzuplanen. Unter anderem soll Carsharing ebenso angeboten werden wie Elektrolastenräder." Auch Mieter mit schwächeren Einkommen bleiben im Blick. "Wir waren schon mit der NBank im Gespräch, wie man günstigere Wohnungen realisieren kann," so Campanale.

Bei einem Besichtigungstermin in der ÜFest versicherte Campanale noch einmal die Bereitschaft, als Zwischennutzung die Gebäude für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Gespräche mit dem (Landes)DRK habe es bereits gegeben, bei denen signalisiert worden sei, dass man durchaus Interesse daran habe, eine solche Unterkunft durch das DRK zu betreiben.

Campanale nennt als monatliche Nutzungskosten rund 30 000 Euro inklusive einem in Vollzeit angestellten Hausmeister sowie über die Miete finanzierten Flüchtlingsberatern einer Migrationsinitiative.

Übrigens: Bei dem Besichtigungstermin stellte sich heraus, dass die ÜFest-Gebäude bei weitem nicht in so einem maroden Zustand sind, wie behauptet. Die sogenannten Baracken sind eh nicht für die Nutzung vorgesehen. Die Entwicklergruppe geht davon aus, dass die Gebäude im März/April soweit hergerichtet sind, dass die ersten Geflüchteten einziehen könnten - vorausgesetzt, die erforderlichen Genehmigungen werden zeitig erteilt.

Doch vor dem Kaufvertrag kommt auch hier die Kreisverwaltung ins Spiel. Der Fachdienst Regionalplanung muss einem Antrag auf Nutzungsänderung/Zielabweichung zustimmen. Derzeit gilt für die ÜFest ein Sondernutzungsplan für die Unterbringungung von Behinderten. Sobald dem Antrag zugestimmt ist, wurde von der Gemeinde Woltersdorf bereits signalisiert, dass sie die notwendigen Beschlüsse für das weitere Planungsverfahren fassen würde.

Eine Mitfinanzierung durch den Landkreis sieht die Entwicklergruppe nicht vor, lediglich Mietzahlungen für die Unterbringung von Geflüchteten.

Am Montag (12.12.) soll nun erneut über den Ankauf des Geländes Neu Tramm durch den Landkreis diskutiert und entschieden werden. Zum letzten Mal?



2022-12-09 ; von Angelika Blank (autor),
in Neu Tramm, 29451 Dannenberg (Elbe), Deutschland

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