Will sie keiner mehr? Regionale Biokartoffeln zu verschenken

„Darf ich Ihnen eine Tüte Kartoffeln schenken?“ Ungläubig gucken die LIDL-Kunden auf dem Parkplatz vor der Lüchower Filiale in das freundliche Gesicht von Bio-Kartoffelbauer Henning Schulz aus Zeetze. Ausnahmlos alle Angesprochenen regagieren am Freitag vormittag positiv auf das unerwartete Präsent: Eine Tüte beste Biokartofeln aus heimischer Produktion.
„Aber tun Sie mir einen Gefallen und lesen Sie das Faltblatt in der Tüte!“ „Ja, da mache ich gerne“ meint etwa Bernd Stapelfeldt aus Liepe, der gleich zwei Tüten bekommt: Eine für seine Enkelin, die Vegetarierin ist. Das Faltblatt erläutert die ungewöhnliche Protestaktion. Nach einer sehr schwierigen Kartoffelsaison mit niedrigen Preisen stellt jetzt der Handel - LIDL ist nur ein Beispiel von vielen - frühzeitig auf Importware aus Ägypten und Israel um, obwohl noch ausreichend gute regionale Bioware in den Lagern liegt.

Monika Tietke, Sprecherin des Verbandes der Bio-Kartoffel-Erzeuger, erläutert: „In vielen Geschäften können sich die Verbraucher jetzt zwischen Bio-Kartoffeln aus Ägypten oder Israel und konventionellen regionalen Knollen entscheiden – eine Wahl, die keine ist. Wer regionale Bioware sucht, tut sich schwer.

"Das ist für uns ein Riesenärgernis und für manche Bio-Betriebe regelrecht existenzbedrohend“, macht Monika Tietke ihrem Unmut Luft. „Außerdem haben Bio-Kartoffeln aus Übersee nur wenig mit unserer Grundidee einer ökologischen und regionalen Lebensmittelwirtschaft zu tun“.

Gerade vor dem Hintergrund der Kampage des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist das nicht nachzuvollziehen! Bundesministerin Ilse Aigner startet gerade die Internetseite www.zugutfuerdietonne.de. Das trifft in jedem Fall auch für deutsche Bio Kartoffeln zu!“

Der Anbau von Kartoffeln ist nicht nur sehr arbeitsaufwendig, auch viel Kapitaleinsatz gehört dazu, wenn man bis in den Mai oder Juni gute Ware liefern will. Diese Vorleistung haben viele Bio-Kartoffelerzeuger getätigt. „Unsere Erzeuger sind wütend, wir haben ein gutes Produkt und müssen es jetzt entsorgen, weil der Handel schon in vielen Geschäften nur noch ägyptische und israelische Bio Kartoffeln gelistet hat. Wir importieren Kartoffel, statt unserer eigenen zu essen,“ so Monika Tietke.

„In dieser Situation müssen wir uns fragen: Was ist Nachhaltigkeit?- Was bedeutet es, wenn man Lebensmittel liebt?- Wo ist die Verantwortung für die Umwelt? Und - dieser Punkt ist uns auch wichtig - wie gehen wir mit Ressourcen in anderen Ländern um? Das Jahr 2012 ist Jahr des Wassers. Fast eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwassser, die Zahl der gewalttätigen Konflikte um Trinkwasser nimmt jedes Jahr zu. Vor diesem Hintergrund ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass in Ägypten oder Israel, teilweise direkt in der Wüste, unter hohen Bewässerungsaufwand Kartoffeln für den Export angebaut werden," so Monika Tietke.

„Und diese Kartoffeln verdrängen die heimischen Bio-Kartoffel aus den Regalen, nur, weil sie schöner und glatter aussehen. Dabei gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die belegen, dass die in den Lägern gereifte Kartoffel nicht nur besser schmecken, sondern auch weniger Nitrat enthält und einen höheren Vitamin-C-Gehalt hat. Punkten kann die Importware nur mit einer meist glatten und hellen Schale - die Entscheidung fällt zwischen Geschmack und ernährungsphysiologischen Qualitäten bei der Bio-Kartoffel von hier und der Optik bei den  importierten Knollen.“

Die Handelskette „tegut“ macht es vor, dass es auch anders geht: sie hat das ganze Jahr über heimische Kartoffeln im Angebot. Gut für „tegut“, die Landwirte, die Verbraucher und die Umwelt. „Wir können nur an die Kunden und Kundinnen appellieren: Lassen Sie die Importware im Regal liegen und fragen Sie nach heimischen Bio-Kartoffeln, es gibt sie noch. Bei mir im Lager liegen noch mehrere 100 Tonnen gute Ware, die ich dann auf den Mist kippen kann. Und ich bin nicht der Einzige,“ meint dazu Bernhard Ruile, Bioland Landwirt aus Bayern.

Zudem ist als problematisch einzuschätzen, dass in Ägypten oder Israel auch so genanntes fossiles Wasser für die Bewässerung verwendet wird. Dieses sehr saubere Wasser würde dringend für den menschlichen Konsum benötigt. Nach Angaben der Vereinigung deutscher Gewässerschutz stehen Ägypten mit 428 Liter Wasser je Kilogramm (!) geernteter Kartoffeln und Israel mit durchschnittlich 203 l/kg an der Spitze des Wasserverbrauches zur Feldberegnung. Deutsche Kartoffeln werden vorwiegend durch den Regen bewässert, für die Beregnung werden im Durchschnitt lediglich 9 bis 11 Liter pro Kilogramm eingesetzt.

Auch die Treibhausgasbilanz ist für heimische Kartoffeln besser: Berechnungen zufolge haben im April auf den Markt gebrachte heimische Bio-Kartoffeln trotz Lagerung die bessere Treibhausgasbilanz als ägyptische, israelische oder spanische Ware. In Israel und ganz besonders in Ägypten entstehen Treibhausgasemissionen durch die für den Bio-Kartoffelanbau erforderliche hohe Bewässerung. Aufgrund dessen schneiden die in Ägypten angebauten Bio-Kartoffeln insgesamt mit der höchsten CO2-Belastung ab.

Die deutschen Bio-Bauern sind Spitzenreiter beim Anbau von Bio-Kartoffeln in der EU: 2010 betrug die Anbaufläche insgesamt 8.250 Hektar. Auf dem ganz überwiegenden Teil der Fläche (7.450 ha in 2010) werden Speisekartoffeln für den Frischmarkt produziert. Convenience-Produkte wie Pommes Frites oder Chips haben im Bio-Markt keine große Bedeutung, da Bio-Käufer tendenziell eine gesündere Ernährungsweise praktizieren und lieber zu Frischkartoffeln als zu Fertigprodukten greifen.

Eingekauft werden Bio-Kartoffeln inzwischen vor allem im Supermarkt und beim Discounter. Im Jahr 2010 wurden 80 Prozent der Bio-Kartoffeln von den Konsumenten im Lebensmitteleinzelhandel inklusive Discounter erworben; allein auf die Discounter entfiel in dem Jahr ein Marktanteil von 59 Prozent. Der Marktanteil des Naturkostfachhandels lag bei 9 Prozent, während der Direkteinkauf auf den Hof acht Prozent ausmachte, 4 Prozent entfielen auf sonstige Einkaufsstätten.

Foto: Björn Vogt ... Haben am Freitag vormittag vor der LIDL-Filiale in Lüchow 2,5 Tonnen Biokartoffeln aus heimischer Produktion verschenkt: Die Biobauern (von links) Claas Chocholowicz, Ulli Baukuss und Henning Schulz.




2012-03-30 ; von Björn Vogt (autor),

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