Wie sagte vor Jahren ein Polizei-Einsatzleiter, als der Castor rollte, obwohl der niedersächsische Innenminister in der gleichen Sekunde vor anwesender Weltpresse das Gegenteil behauptet hatte: "Da war der Minister wohl nicht richtig informiert". Ob Innenminister Schünemann nun das Gleiche über seinen Bundeskollegen denkt? Denn dieser kommt in seinem (Bundes)-Verfassungsschutzbericht zu einer gänzlich anderen Einschätzung, was den Widerstand im Wendland angeht.
Otto von Habsburg ist tot. Einer der Letzten, die uns an Austrias Gloria erinnern, an selige Kaiserzeiten, an Sissi, an ein Staatsgefüge, in welchem einer sagte, was Sache ist – und das war dann eben so. Fertig!. Bei uns ist es anders. Wir haben sogar den Föderalismus (fragen Sie mal einen Gymnasiasten, was das ist..). Ganz locker erklärt: Jedes Land hat viele eigene Kompetenzen. In der Schulpolitik etwa. So unterschiedlich sind die Regelungen von Bundesland zu Bundesland, dass ich bei der Beschäftigung mit diesem Thema oft meine Schwiegertochter (Lehrerin) zu Hilfe rufen muss. Aber sie und niemand anders kann mir helfen, wenn ich die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder lese und nicht mehr weiß: Wer ist der Gute – wer der richtig Böse?
Schünemann: Kampf gegen Atomenergie Schwerpunkt der Militanten
Ach, was soll ich mich denn grämen? Wenn ich solche Fragen habe, wende ich mich an den Obersicherheitsexperten Niedersachsens: Innenminister Uwe Schünemann (CDU)! Der weiß, was Sache ist. Komisch: Immer, wenn ich an ihn denke, fällt mir ein altes NVA-Lied ein „Wir sind wachsam, weil es uns um Glück und Frieden geht – Wir sind wachsam, wissen, wo der Gegner steht!“ MfS-Chef Mielke hörte das Lied sehr gern.
Und auch Schünemann weiß, wo der Gegner steht. Also schreibt er in seinem vor wenigen Wochen herausgegebenen Verfassungsschutzbericht: "Für die Linksextremisten ist der Kampf gegen die Atomenergie seit 30 Jahren ein Themenschwerpunkt des militanten Widerstandes“. Dabei gehe es den Extremisten vor allem um die „Überwindung des politischen Systems“. Ich bin selbst nicht mehr der Jüngste, aber ich sehe im Geiste jetzt vor mir ein paar von mir sehr geschätzte ältere Damen, die – so ordne ich sie ein – gewiss nicht als „Überwinderinnen eines Systems“ betrachten kann. Das nur nebenbei.
Bund: Linksextreme in der Minderheit
Zurück zu unser aller Oberordnungshüter Schünemann: Er sieht also „militanten Widerstand“ von links. Möge er. Seine Kollegen auf Bundesebene allerdings konstatieren im jüngst vorgelegten Verfassungsschutzbericht für 2010: „Linksextremisten sind in der Anti-AKW-Bewegung deutlich in der Minderheit.“ Die deutliche Mehrheit der Protestteilnehmern sei „überwiegend dem demokratischen Spektrum“ zuzurechnen. Klar, sogenannte Linke waren da. Etwa 100 Autonome, so der Bericht, kesselten zum Beispiel während der Großdemo in Dannenberg kurzzeitig etwa 30 Polizeibeamte ein, aber das abschließende Urteil der Bundes-Schlapphüte dürfte das Wesentliche sein: „Tatsächlich stellt die Anti-AKW-Bewegung kein originäres linksextremistisches Aktionsfeld dar und ist insofern für Linksextremisten von nachrangiger Bedeutung.“
Sagt der Bundesverfassungsschutz. Anders Obersicherheitswächter Schünemann: Der Widerstand gegen Atomkraft sei Themenschwerpunkt des militanten Widerstandes, wirft er links orientierten Gemeinschaften vor.
Nun hat Schünemann die Facebook-Partys im Visier
Wie aus der Presse zu entnehmen war, ist es Uwe Schünemanns neuestes Steckenpferd, sogenannte Facebook-Partys im Vorfeld verbieten zu wollen. Vielleicht will er sich mit diesem Thema die Zeit überbrücken, bis zum nächsten Castor-Transport, wenn wieder die Massen der bösen linken Atomkraftgegner nach Lüchow-Dannenberg stürmen, um das System zu stürzen. Oder will Schünemann noch mal richtig „Gas geben“ in seiner Restlaufzeit bis zur nächsten Landtagswahl?
Ach, da hatten es die Vorfahren des Otto von Habsburg doch einfacher. Da wurde nicht lange gelabert, da wurde in die aufmüpfige Menge geschossen! Mit Blei. Heute tut man das fast 1000 Kilometer von Wien entfernt mit Worten.
Grafik: Zeichnung von Wilhelm Busch / Selbstgerechtigkeit war dem Dichter aus dem niedersächsischen Wiedensahl bei Loccum schon immer ein Dorn im Auge. Nicht nur in "Die fromme Helene" beleuchtete er satirisch religiöse Heuchelei und zwielichtige Bürgermoral: "Das Gute – dieser Satz steht fest - Ist stets das Böse, was man läßt!", so der Busch'sche Schlußsatz zur Geschichte der ach so frommen Helene. Vielleicht sollte auch Innenminister Schünemann öfters mal zu Glas und Pfeife greifen ...