Thema: widerstand

Zigtausende demonstrieren gegen schwarzgelbes Sparpaket

Nur neun U-Bahn-Minuten von Angela Merkels Regierungssitz entfernt, machten am Samstag über 20.000 Menschen auf einer Großdemonstration deutlich, was sie von der Sparpolitik der Kanzlerin und ihres Vize Westerwelle halten: Sie ist ungerecht und unsozial, macht Arme noch ärmer, während die Wohlhabenden ungeschoren davonkommen. Aus zahlreihen Orten Deutschlands waren BürgerInnen zur Demo nach Berlin gereist - auch aus Lüchow-Dannenberg.

Das Aktionsbündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise“ hatte zur Demonstration aufgerufen, und viele, viele kamen in die Hauptstadt. Über 120 Organisationen, darunter Gewerkschafts-Gliederungen und Parteien, waren vertreten, doch auch zahlreiche nicht organisierte Menschen machten mit. Ganze Familien waren unterwegs vom Roten Rathaus durch einen Teil der Stadt, am Alexanderplatz vorbei, um ihre Sorgen und ihren Unmut über die Sparwalze auszudrücken, welche die schwarzgelbe Koalition über einen Großteil der Bevölkerung rollen will.

„Wir sind das Volk“

Dicht gefüllt mit Protestierenden war der Platz vor dem Roten Rathaus (das seinen Namen von der Farbe der Steine hat), als einige RednerInnen kurz umrissen, welche Last die Regierenden aus Union und FDP mit ihrem vor knapp einer Woche offenbarten Sparpaket unzähligen Menschen aufbürden – Menschen, von denen viele nicht in der Lage sind, ein solches Paket mitzutragen. Aber: „Wir sind das Volk“ gab Kerstin Weidner vom „Aktionsbündnis Sozialproteste“ zu bedenken und erinnerte damit an eine Parole, die schon einmal ganz erhebliche Veränderungen eingeläutet hatte. Es sei erfreulich, dass so viele Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gehen, um der Bundesregierung klar zu machen: So nicht mit uns! Sie freue sich auf „einen heißen Herbst“, den es seitens der Bevölkerung den Urhebern der Sparbeschlüsse zu bereiten gelte.

„Sparaxt droht - Wir brauchen einen Generalstreik“

Die Sparpläne der Bundesregierung treffen diejenigen, die am wenigsten haben: Dies betonte auch der Gewerkschafter Mustafa Efe von der „Alternative Daimler“. Er warnte, all das, womit die Koalition nun die BürgerInnen drücken wolle, sei erst der Anfang: „Nach dem Sparhammer kommt die Sparaxt!“ Was die Bundesregierung nun aus dem Hut gezogen habe, so Efe sinngemäß, seien spürbare Auswüchse des Kapitalismus.

Kritik richtete der Redner gegen die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG). Deren Vorsitzender Michael Sommer zöge es vor, in gepflegter Atmosphäre mit Kanzlerin Merkel zu parlieren, als da zu sein, wo er als Arbeitnehmervertreter hingehöre: „Hier zu uns auf den Platz!“. „Wir müssen Druck von unten machen“, appellierte Mustafa Efe an seine ZuhörerInnen. Widerstand sei angesagt – sowohl gegen das Sparpaket als auch gegen die Arbeitslosigkeit, die es durch gerechte Verteilung von Arbeit zu beseitigen gelte. „Wir brauchen starke Proteste und Streiks, wir brauchen einen Generalstreik“, forderte Efe.

„Sorgen wir für einen heißen Herbst“

Seitens des Bündnisses „Wir zahlen nicht für eure Krise“ konstatierte Janek Niggemann mit Blick auf die Sparpläne: „Die Profiteure werden verschont – Rentner, Hartz-IV-Empfänger, Rentner und Familien dagegen sollen zahlen“. Das Kürzungspaket sei ein Test der Bundesregierung, wie weit sie mit der Belastung der Bürgerinnen und Bürger gehen kann. Als nächstes drohen Einschnitte ins Gesundheitswesen.

Wenn die Bevölkerung jetzt nichts gegen dies Gebaren von Union und FDP tue, dann würden auch noch die letzten schäbigen Reste des Sozialstaates kaputtgespart. „Sorgen wir für einen heißen Herbst, sonst geht es uns allen an den Kragen“, mahnte Niggemann. Auch er machte deutlich, dass es letztlich die kapitalistische Wirtschaftsordnung sei, die zu solchen Maßnahmen, wie dem Sparpaket führt. Aber „diese kapitalistische Wirtschaftsordnung hat für uns nichts mehr zu bieten“, so der Sprecher. Umkehr sei angesagt, unter anderem die Enteignung der Großbanken: „Wenn Eigentum ein Hindernis für die Demokratie ist, dann muss es vergesellschaftet werden!“

„ Sparpaket unglaubliche Sauerei“

Auf der Abschlusskundgebung nach dem Demonstrationszug, ebenfalls vor dem Roten Rathaus, wandte sich Gesine Lötzsch, Bundesvorsitzende der Partei Die LINKE, sowohl gegen das Sparpaket als auch gegen weitere ungerechte Belastungen sozial schwacher Menschen: Sie möge nicht in einem Land leben, in dem Hartz-IV-Empfänger zum Umziehen gezwungen würden, während andere Leute nicht wüssten, wie sie ihre fünfte oder sechste Wohnung einrichten. Als eine „unglaubliche Sauerei“ bezeichnete Gerd Buddin vom Berliner Ver.di-Bezirk auf der Kundgebung die Sparpläne. Die Bundesregierung könne sich auf den Widerstand der Gewerkschaften einstellen, kündigte Buddin an.

Zur Deeskalation: Lied vom lieben Volkspolizisten

Der Demonstrationszug, eskortiert von vielen Polizisten, verlief anfangs ohne Zwischenfälle. Unmut wurde unweit des Alexanderplatzes laut, als Polizeibeamte monierten: Transparente im Zug seien – entgegen ordnungsbehördlicher Vorgaben – zusammengebunden worden. Zur Deeskalation der Sache, so kündigte ein Demozug-Sprecher aus einem Lautsprecherwagen an, werde man etwas Polizeifreundliches abspielen. Und schon war aus der Musikkonserve ein DDR-Kinderchor mit dem netten Liedchen zu hören: „Der Volkspolizist, der es gut mit uns meint / er bringt mich nach Hause, er ist unser Freund!“

Polizeibeamte durch Explosion verletzt

Ganz und gar unfreundlich ging es wenig später zu. Ein aus der Menge geworfener Explosionskörper verletzte nach Mitteilung der Polizei mindestens 14 Beamte, zwei von ihnen schwer. Sie wurden in ein Krankenhaus gebracht, wo sie operiert werden mussten; Lebensgefahr bestand nicht. Aus den Reihen von Demonstranten seien neben Feuerwerkskörpern auch Steine und Flaschen in Richtung der Beamten geworfen worden, sagte ein Polizeisprecher.

Über 22.000 demonstrierten in Stuttgart

Auch in Stuttgart gingen über 22.000 Menschen in einer Demonstration gegen das schwarzgelbe Sparpaket durch die Straßen. Dort bekamen nicht nur Union und FDP den Zorn der Bevölkerung zu spüren: Ehe der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Claus Schmiedel, sich auf der Demo-Bühne kritisch zum Sparpaket äußern konnte, flog ihm ein Hagel aus Eiern und Bananen entgegen. Das aber hatte nicht mit den Sparplänen zu tun, denn: Schmiedel befürwortet ein in Stuttgart umstrittenes Bahnhofsprojekt, und Gegner dieses Vorhabens hatten die Demo für ihre Eier-Obst-Aktion genutzt.

Schwul-lesbisches Fest ohne Steinmeier

Wie die Demonstrationen von zigtausend Menschen gegen die Regierungspläne im Kanzleramt angekommen sind? Am Samstagabend gab es dazu noch keine Reaktionen, zumal dort und in der Umgebung offensichtlich schon genug Unruhe zu herrschen scheint. Dafür spricht auch die kurzfristige Absage von SPD-Fraktionschef Ernst-Walter Steinmeier, der sein geplantes Erscheinen zu einer Diskussion beim großen schwul-lesbischen Straßenfest in Berlin kurzfristig abgesagt hatte, dort aber am Samstag ein Grußwort verlesen ließ, in dem er als Grund für sein Fernbleiben wörtlich angibt: „Die Ereignisse im Regierungsviertel überschlagen sich!“

Foto: Hagen Jung

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2010-06-13 ; von Hagen Jung (autor),

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