Eine Überraschung gab es jüngst für Pfarrer Hans Günther Sorge auf dem Dachboden des Pfarrhauses: Beim Aufräumen fand er eine Statue der Heiligen St. Agnes.
Die Statue ist ungefähr so alt wie die katholische Kirche in Lüchow, die ihren Namen trägt: 100 Jahre. Als St. Agnes war die Gipsfigur rasch zu identifizieren: Sie trägt auf dem Arm ein Lamm. Die Ikonographie hat es Agnes zugeordnet, weil sie um 250 nach Christi Geburt so getötet wurde „wie ein Lamm“: durch einen Stich in den Hals.
Den Tod erlitt Agnes als Märtyrerin. Die Überlieferung schildert ihr Schicksal folgendermaßen: Die in Rom geborene Tochter einer adeligen Familie sollte im Alter von zwölf Jahren verheiratet werden. Agnes lehnte ab, sie wollte ehelos bleiben, um ihr Leben ganz dem christlichen Glauben zu widmen. Wegen ihrer Weigerung wurde sie vor den Richter geschleppt, doch auch er konnte die junge Frau nicht umstimmen. Als ihr Verlobter versuchte, sie zu vergewaltigen, wurde er von einem Dämon getötet, doch Agnes erweckte den jungen Mann wieder zum Leben. Dies wiederum brachte ihr den Vorwurf der Hexerei ein, worauf man sie verbrennen wollte. Doch die Flammen des Scheiterhaufens erfassten sie nicht. Erst der Schwertstich setzte ihrem Leben ein Ende.
Für den Namen Agnes gibt es zwei Deutungen. Die eine bezieht sich auf das altgriechische „hagnos“, zu deutsch „rein“, bezeichnet sie demnach als „die Reine“. Die andere Version geht vom lateinischen „agnus“ aus, zu deutsch „das Lamm“ und bezieht sich auf den Opfertod, kennzeichnet auch die Nähe der Römerin zu Jesus Christus, der in der Liturgie als „das Lamm Gottes“ geehrt wird.
Rätsel gibt die Lüchower Statue wegen ihrer Farbgebung auf. Der Zahn der Zeit hat stellenweise „Löcher“ in den blau gemalten Umhang der Figur genagt – und darunter ist ein roter Mantel zutage getreten! Rot passt gut zu Agnes, ist es doch die Farbe der Märtyrer, jener Menschen, die für ihren Glauben den Tod erlitten. Weshalb nun irgendwann Blau darüber gepinselt wurde, weiß bislang niemand zu sagen, ist auch nirgendwo in den kirchlichen Papieren überliefert. Blau ist traditionsgemäß die „Marienfarbe“, in ihr wird auf Bildern und Statuen zumeist der Umhang dargestellt, den die Mutter Jesu trägt. Hat man St. Agnes' Gewandung in Lüchow womöglich blau angemalt, um damit in puncto Reinheit und Jungfräulichkeit ihre Nähe zur Jungfrau Maria auszudrücken?
Äußerlich mangelt es der Statue allerdings an „Reinheit“, Folge der langen Liegezeit auf dem Dachboden. Deshalb wird St. Agnes zurzeit in der Werkstatt „Restaura“ von Restauratorin Barbara Brunn-Krull in Dannenberg gründlich gereinigt. Auch ein paar weiße Stelle, an denen der Gips durchscheint, werden ausgebessert. Der blaue Mantel allerdings, unter dem hier und da das Rot hervorlugt, bleibt so wie er ist. Auch der rechte Unterarm, den die Statue irgendwann im Laufe ihrer vielen Lüchower Jahre verloren hat, wird nicht ersetzt. So wird sich St. Agnes „ganz original wie gefunden“ im Jubiläumsjahr 2014 zum 100-jährigen Bestehen der Kirchengemeinde zeigen.
Foto: Barbara Brunn-Krull restauriert in Dannenberg in ihrer Werkstatt „Restaura“ die Lüchower St. Agnes-Statue. Foto: Hagen Jung