Während sich AktivistInnen der Anti-Atom-Initiative "gorleben365" am Sonntag Morgen demonstrativ an Zufahrtstore zum Endlagergelände ketteten, begann in den kaum fünf Kilometer entfernten Trebeler Bauernstuben die ganztägige Tagung der Stiftung Leben und Umwelt, wie die bundesweit agierende Heinrich-Böll-Stiftung (eine Parteistiftung der Grünen) in Niedersachsen heißt.
Viel Input hatten die rund 50 Interessierten bis zum frühen Abend zu verkraften – und durchaus waren sich die Podiumsteilnehmer nicht über alle Fragen einig.
Nachdem Mathias Edler, Atomexperte von Greenpeace noch einmal einen Überblick über die Geschichte der Standortbenennung Gorlebens für ein atomares Endlager vorgestellt (Download Vortragsfolien hier) und Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender Grünen im Landtag, die Frage stellte, was aus den Fehlern der Asse zu lernen sei (Download Vortragsfolien hier), hatten die Wissenschaftler das Wort.
Endlagerung - ein Thema für Generationen
Marcos Buser zum Beispiel, ein Schweizer Geologe, der sich ausführlich mit den Endlagerprojekten in seiner Heimat beschäftigt hat, ist davon überzeugt, dass das Entwickeln der bestmöglichen Form der Sicherung von Atommüll noch mehrere Generationen beschäftigen wird. Dabei warnt er vor Zeitdruck, der nur dazu führe, dass Fehler gemacht werden.
Skepsis hat Buser gegenüber Plänen, die eine langfristige Kontrolle des eingelagerten Mülls erfordern. Er traut der Menschheit nicht zu, dass sie sich langfristig an vorgegebene Aufträge halten kann, befürchtet, dass zum Beispiel im Falle von Gesellschaftskrisen der Staffelstab an die nächste Generation nicht mehr weitergegeben wird.
Andererseits habe aber die derzeit lebende Generation eine Verantwortung dafür, das Problem zu lösen. Dabei helfe nur unbedingte Klarheit in der Benennung der Probleme und die Entwicklung einer Fehler- und Problemkultur, die sich an einem Fehlermanagement orientiert, wie es der Philosoph Karl Popper vorgeschlagen habe. Dieser hatte eine neue Berufsethik entwickelt, nach deren Grundgesetz „um zu lernen, Fehler möglichst zu vermeiden, gerade von unseren Fehlern gelernt“ werden müsse und demzufolge „dauernd nach unseren Fehlern Ausschau gehalten“ werden muss. Weder in der derzeitigen Atompolitik der Schweiz noch der Deutschlands sieht Buser dafür Ansätze. (Download Vortragsfolien hier)
Jürgen Kreusch von der intac in Hannover gab einen Überblick über die Widersprüchlichkeiten bei der „Vorläufigen Sicherheitsanalyse“(VSA), die Umweltminister Norbert Röttgen gerade erstellen lässt. Die VSA soll eine Prognose der geologischen Entwicklung eines bestimmten Standorts (hier Gorleben) sowie die Charakterisierung der einzulagernden Abfälle sowie die Erarbeitung eines Sicherheits- und Nachweiskonzeptes beinhalten. Nach dieser Analyse, die Ende 2012 fertiggestellt sein soll, soll das Konzept für die Endlagerung der Abfälle festgelegt werden.
Kein Konzept ohne Vor- und Nachteile
Kreusch sieht beim Standort Gorleben u.a. zwei gravierende Probleme. Bisher vorgesehen sei die Verfüllung der Endlagerschächte mit Salzgrus, welches sich nach der Theorie im Laufe der Zeit so verdichten soll, dass es nach einiger Zeit so dicht ist wie ein ungestörter Salzstock. Doch nach Kreusch ist weder nachgewiesen, ob dieser „Heilungsprozess“ so ablaufen wird wie theoretisch berechnet, noch ist klar, ob die eingesetzten Dichtelemente bis zum „Verheilen“ des Salzgruses absolute Dichtigkeit garantieren werden.
In seiner Schlußbemerkung wies Kreusch darauf hin, dass Langzeitsicherheitsanalysen noch nie zum Abbruch eines Projektes geführt hätten (da sie u.a. keine Verfahren zum Abbruch vorsehen), so dass er davor warnt, auf das Ergebnis der VSA allzuviel Hoffnung zu setzen. (Download der Vortragsfolien hier)
Detlef Appel, ebenfalls Geologe, beschäftigte sich vor allem mit dem zur Zeit stark diskutierten Konzept der Rückholbarkeit. Nach seiner Ansicht gibt es keine Entsorgungsstrategie, die alle (sicherheitstechnischen) Vorteile in sich vereint und keine Nachteile aufweist.
Auch er warnt wie Marcos Buser vor der Favorisierung aktiver Sicherheitselemente, die langfristig überwacht werden müssen und fragt, wie lange realistischerweise eine Rückholbarkeit mit einem dauerhaft funktionierenden Überwachungssystem aufrecht erhalten werden kann. So fordert er, dass vor der Entscheidung für die Rückholbarkeit Entscheidungskriterien für die Beendigung der Rückholbarkeitsphase sowie den Verschluss des Endlagers festgelegt werden müssen. Ausserdem müssen von Anfang an (und dauerhaft) institutionelle und finanzielle Voraussetzungen für Überwachung und Rückholung bereit gestellt werden.( Download Vortragsfolien hier)
Der Physiker Wolfgang Neumann stellte das ebenfalls diskutierte Konzept der Transmutation, der Umwandlung von Atomkernen durch Neutronenbeschuss. Zwar sei das Verfahren bereits erprobt, allerdings in Deutschland frühestens 2023 mit einem Kostenaufwand von rund 1 Mrd. Euro realisierbar, so Neumann. Ausserdem blieben immer noch radioaktive Nuklide übrige, die endgelagert werden müssten. Nach seiner Ansicht stellt also die Transmutation keine echte Lösung des Problems dar.
Was die dauerhafte Zwischenlagerung angeht, so ist auch Neumann der Ansicht, dass es eine große Prognoseunsicherheit gibt, was das Verhalten und die Entwicklung zukünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse angeht. (Download der Vortragsfolien hier)
Die politischen Perspektiven der Endlagerung
Wolfram König, der als Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz die Genehmigung eines eventuellen Endlagers zu verantworten hat, wies in seinem Statement darauf hin, dass ein Zwischenlager schon von seinem Namen her lediglich dafür vorgesehen sei, als Zwischenlösung zu dienen. Es bedürfe klarer Definitionen, wann ein Zwischenlager zum Endlager wird. Er befürchtet ansonsten die schleichende Verwandlung einer provisorischen Lösung in eine endgültige.
In der abschließenden Publikumsdiskussion wurde deutlich, dass nicht alle, die sich gegen ein atomares Endlager in Gorleben aussprechen, sich auch verantwortlich für die Entwicklung eines funktionierenden Endlagersystems fühlen. Kerstin Rudek zum Beispiel, derzeitige Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, berichtete, dass sie schon für ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung kritisiert worden sei. „Wir wollen protestieren nicht diskutieren“, so Rudek. An Diskussionen über die Endlagerfrage sei sie lediglich interessiert, wenn diese zum Protest und damit in der Folge zum Widerstand führen würden. Und auch Pastor Eckhard Kruse, Endlagerbeauftragter der Evangelischen Kirche, sah den Auftrag an die derzeit aktive Generation, Verantwortung für die Endlagerfrage zu übernehmen, nicht an sich gerichtet . Wenn die Rückholbarkeit an spätere Generationen übertragen werden kann, warum dann nicht auch die Lösung des Problems.“ Immerhin hätten die Experten in jahrzehntelanger Arbeit bisher keine Lösung gefunden.
Unsicher war sich Kruse, wie er sich der Frage der dauerhaften Zwischenlagerung gegenüber stellen soll. „Vielleicht gibt es ja wirklich eine sichere langfristige Zwischenlagerung unter bestimmten Voraussetzungen“, so seine vorsichtige Überlegung zu der aktuellen Diskussionen.
Aber im Grunde will Eckhard Kruse noch keine Antworten, sondern zunächst einen offenen Diskurs über die Probleme. Denn es fehle die Zeit, sich mit dem Thema intensiv auseinander zu setzen. Seine Empfehlung: man solle sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen, sondern einen Schnitt machen und die Diskussion neu anfangen. „Denn nachdem zum Beispiel noch nicht einmal der Nullwert für die natürliche Hintergrundstrahlung klar definiert ist, sondern je nach Bedarf festgelegt wird, muss das Vertrauen in die verantwortlichen Behörden und Ministerien erst wieder neu aufgebaut werden.“
Ein Wunsch, den offensichtlich auch viele der Anwesenden hegten. Sie sprachen sich zwar mehrheitlich für eine Endlagerung in tiefen geologischen Schichten aus, hatten aber auch gleichzeitig große Zweifel daran, dass langfristiger Sicherheit.
Unter dem Strich blieb als Einigkeit nach der Tagung wohl übrig, dass alle atomkritischen Kräfte, ob Wissenschaftler oder Betroffene, sich einen vollständigen Neubeginn der Suche nach einem Endlagerkonzept wünschen, bei der die Fehler aus der Vergangenheit nicht wieder begangen werden - angefangen bei der wirklich transparenten Beteiligung der Öffentlichkeit.