Morgens war noch die Gurke in Magdeburg als mit EHEC belastet geoutet worden - am Abend war davon schon keine Rede mehr. Der Auslöser für die aktuelle Epidemie ist immer noch nicht gefunden, doch Gurken, Tomaten und Blattsalate stehen nicht mehr unter Verdacht, teilten die obersten Gesundheitswächter am Freitag mit. Bei den Verbrauchern herrscht Verwirrung - und tiefe Skepsis.
So viele Prüfberichte hatte der Gemüsehändler auf dem Gartower Wochenmarkt noch nie vor seinen Stand gelegt. "Doch was bleibt mir anderes übrig", so die Verkäuferin dort. Tomaten, Gurken, Rucola - im Grunde alle Frischsalate waren in den letzten Wochen liegen geblieben. Niemand mochte mehr Salat essen.
Was hilft auch der nette Tipp in den örtlichen Medien, den Salat "10 Minuten bei 70 Grad" zu erhitzen, um alle Keime abzutöten. Kopfsalat, 10 Minuten bei 70 Grad erhitzt? Salatspinat? - die eigenartige Matsche, die nach diesem Prozess übrig bleibt, möchte auch niemand essen. Dann schon lieber Möhren, auf sanft gegart.
Neben den EHEC Erkrankten sind die Opfer der aktuellen Epidemie vor allem die Landwirte und Gemüsehändler, die seit mindestens zwei Wochen einen Hauptteil ihrer Produkte nicht mehr los werden.
Da hilft auch die Entwarnung durch die obersten Gesundheitswächter wenig. Am Freitag Morgen wurde in Berlin eine gemeinsame Erklärung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und durch das Robert Koch Institut abgegeben. Sie kommen gemeinsam zu dem Schluss, dass die zurzeit bestehende Empfehlung, in Norddeutschland auf den Verzehr von Gurken, Tomaten und Blattsalaten zu verzichten, nicht mehr aufrecht erhalten werden muss.
Minister Gert Lindemann: „Die Aufhebung der Verzehrswarnung ist ganz wesentlich das Ergebnis der unermüdlichen Anstrengungen aller niedersächsischen Behörden zur Rückverfolgung der im Zusammenhang mit Erkrankungsfällen genannten Lebensmittel und Ermittlungen im Betrieb in Bienenbüttel."
"Dieser pragmatische Ermittlungsansatz ergab zeitnah eine immer lückenlosere Indizienkette hinsichtlich der Sprossen, obwohl er sich nicht an dem üblichen epidemiologischen Vorgehen orientierte, das sich ausschließlich auf die Befragung Erkrankter stützt", so ein Sprecher des Ministeriums. "Stattdessen wurden Erfahrungen mit der praktischen Epidemiologie aus der Tierseuchenbekämpfung zugrunde gelegt."
Unsicherheit und Verwirrung allerorten
Doch die Verbraucher bleiben skeptisch. Auf dem Gartower Wochenmarkt war von den - wenigen - Kunden immer wieder zu hören, dass sie den offiziellen Meldungen wenig Glauben schenken. Zu verwirrend waren die Meldungen der vergangenen Wochen. Nach Informationen des ZDF-Morgenmagazins am Freitag soll es nun womöglich "der Mensch" sein, der den EHEC-Erreger in den Salat brachte. Doch wo und auf welchem Wege bleibt weiterhin unklar.
So herrscht allerorten Unsicherheit. Und Rohkost bleibt trotz aller Prüfberichte immer noch liegen. Bei der aktuellen Epidemie wird auch deutlich, wie wenig die Verbraucher offensichtlich über den richtigen Umgang mit Lebensmitteln, die Säuberung, die Lagerung wissen. Da werden Tomaten und Gurken vom fertig belegten Brötchen aus dem Bäckerladen gepickt (im guten Glauben nun das Problem entfernt zu haben) oder die Meinung vertreten, dass Tomaten im Nudelsalat ja nicht schädlich sein können.
Die Spur auf den Sprossen wird immer deutlicher
Unterdessen sind sich die Fachleute einig, dass rohe Sprossen ganz sicher als riskantes Nahrungsmittel gelten. Die Verzehrwarnung wird deshalb aufrecht erhalten. Doch bisher wurden weder in dem Gärtnerbetrieb in Bienenbüttel noch sonst wo die EHEC-Keime in Sprossen gefunden.
Dennoch hat seit dem 5. Juni 2011 den Gartenbaubetrieb in Bienenbüttel keine Ware mehr verlassen. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium teilte inzwischen mit, dass die Ermittlungen ergeben haben, dass der Betrieb über eine effiziente Eigenkontrolle verfügt und alle Hygieneanforderungen erfüllt. "Es bestehen derzeit keine Hinweise auf ein schuldhaftes Verhalten des Unternehmens", so ein Sprecher des Ministeriums.
Experten sind skeptisch, ob die Ursache für den EHEC-Ausbruch jemals gefunden wird. Auch in Asien, wo es vor einigen Jahren durch Sprossen zu einer großen Epidemie gekommen war, konnte der Erreger in den Sprossen nie nachgewiesen werden.
Das liegt womöglich an der kurzen Produktions- und Haltbarkeitszeit von Sprossen. Innerhalb weniger Tage keimen die aus Asien importierten Bohnen bei 38 Grad Celsius und werden dann sofort ausgeliefert. Bei den Endverbrauchern werden die Sprossen ebenfalls schnell verbraucht, da bekannt ist, dass die Sprossen schnell verderben. Wochen nach dem Ausbruch der EHEC-Epidemie dürften also keine Keimlinge aus der damaligen Lieferung mehr im Umlauf sein.
Der Stand der Kontrollen
Weiter teilte das Landwirtschaftsministerium (Niedersachsen) mit, dass bis zum Donnerstag Abend insgesamt 924 Proben aus Niedersachsen in das Landesamt für Verbraucherschutz (LAVES) zur Untersuchung gebracht wurden. Es konnten 502 Proben mit negativem Ergebnis abgeschlossen werden, 181 Proben befinden sich gerade in Arbeit, 241 Proben müssen noch untersucht werden.
Darin enthalten sind allein 138 Proben vom Betrieb in Bienenbüttel, die im LAVES untersucht werden. Davon sind gestern 42 Proben mit negativem Ergebnis abgeschlossen worden.
Auch 92 Proben von Keimlingen/Sprossen, die nicht vom Hersteller in Bienenbüttel stammen, befinden sich zur Überprüfung in den Untersuchungsämtern. Die Ergebnisse sind für eine Einschätzung wichtig, ob ggf. auch andere Produkte belastet sein könnten.
Von diesen Proben konnten gestern 6 mit negativem Ergebnis abgeschlossen werden.
Wie sagte der Experte im Morgenmagazin: "Die Katastrophe wäre, wenn wir gar nicht herausfinden würden, woher der Erreger kommt." Es sieht so aus, als wenn alle mit dieser Unsicherheit leben müssen.
PS: die Lüchow-Dannenberger Frau, die mit schwerem HUS auf der Intensivstation in einer Hannoveraner Klinik liegt, ist auf dem Weg der Besserung.
Foto: Angelika Blank / Auf dem Gartower Wochenmarkt versucht der dortige Gemüsehändler den Absatz durch vielzählige Prüfberichte zu verbessern.