Prügelnde Polizisten anzuzeigen, wird auch bei künftigen Castor-Demonstrationen so gut wie unmöglich sein. Denn der Beamte, der den Knüppel nach Ansicht des Geschlagenen unrechtmäßig geschwungen hat, lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Mit diesem Fazit gingen am Montagabend Bürgerinnen und Bürger nach Hause, die sich von der Aussprache mit Polizeipräsident Friedrich Niehörster in der Sitzung des Dannenberger Stadtrates mehr versprochen hatten.
Es bleibt in Sachen Kennzeichnung alles wie es ist. So lässt sich das zusammenfassen, was der Polizeichef im Saal des Gasthauses Grönecke in Breese in der Marsch im Verlauf von zwei Stunden zu diesem Thema sagte. Am Einsatzanzug, der bei Demonstrationen getragen wird, werden die Beamten - um sie und ihre Familien zu schützen - auch künftig keine Namensschilder tragen. Auch eine Dienstnummer an der Uniform, wie sie beispielsweise bei der New Yorker und Londoner Polizei üblich ist, kommt nicht in Frage. „Polizeibeamte sind keine Nummern“, so lautete das Argument, mit dem Präsident Niehörster mehrmals entsprechende Vorschläge aus Rat und Publikum beschied. Davon wich der Gast aus Lüneburg auch nicht ab, als ihm Ratsherr Norbert Schwidder (SPD) entgegen hielt: Gewiss hätten doch auch Polizeibeamte, wie die meisten Arbeitnehmer, auf der Besoldungsabrechnung eine Personalnummer – und dennoch seien diese Menschen „keine Nummern“.
Nicht nur die Ratsmitglieder konnten mit dem Polizeipräsidenten diskutieren, sondern auch die ZuhörerInnen: Bürgermeister Peter Selber (CDU) hatte, um dies formal zu ermöglichen, die offizielle Sitzung, die er gut moderierte, zeitweise unterbrochen.
„Eine Variante“: den Polizisten fotografieren
Nach wie vor hält Friedrich Niehörster die Kennzeichnung an den Helmen der Polizisten für ausreichend, um bei Beschwerden oder Strafanzeigen gegen einzelne Polizeibeamte zu ermitteln: Über die Helmkennzeichnung lasse sich der Zug herausfinden, dem der fragliche Beamte angehöre. Ein solcher Zug bestehe aus etwa 30 Beamten, und über „weitere individuelle Merkmale“ sowie die Notiz des Ortes und der Uhrzeit und des Kennzeichens eventueller Polizeifahrzeuge in der Nähe sei es doch wohl möglich, den jeweiligen Polizisten namhaft zu machen. Man möge sich eben möglichst viele solcher Merkmale einprägen, und: „Eine Variante“ der Identifizierung, so Niehörster wörtlich, könne es auch sein, den Polizisten zu fotografieren. Nachfragen aus dem Publikum, ob er das wirklich empfehle, beantworte der Präsident wieder mit dem Hinweis, das Fotografieren sei durchaus „eine Variante“. Auch Polizeifahrzeuge dürften fotografiert werden, bei den Beamten allerdings könnte womöglich die Frage nach dem „Recht am eigenen Bild“ eine Rolle spielen, aber das sei dann eine Sache der Staatsanwaltschaft. Ratsherr Kurt Herzog (GLW) schilderte aus seiner Erfahrung, was Demonstranten geschehe, die Polizisten fotografieren: Der Fotoapparat werde von der Polizei weggenommen, schlimmstenfalls hingeworfen und kaputt getreten. Aber, so Herzog, er werde sich, Niehörsters Worten folgend, für künftige Demos mit mehreren Kameras und einem Diktiergerät ausrüsten.
Dann muss „der Volkssturm“ ran
Was aber geschieht, wenn – wie immer wieder zu beobachten – Beamte ohne Kennzeichnung am Helm im Demonstrations-Einsatz aufmarschieren? Das sei ja nicht die Regel, wandt Niehörster ein. Die Beamten der Bereitschaftspolizei, also die überwiegende Zahl der Einsatzkräfte, trügen grundsätzlich die Nummer ihrer Einheit am Helm. Eine Absprache der Innenminister zur Folge halte sich in der Regel auch die Bereitschaftspolizei aus anderen Ländern daran. Diese Kräfte unterstehen während der Castor-Einsätze dem Niedersächsischen Polizeirecht und den Weisungen aus Lüneburg, erklärte der Präsident. Aber, so Niehörster, wenn die Kräfte der Bereitschaftspolizei nicht ausreichten, dann müsse „der Volkssturm“ ran – also Beamte außerhalb der Bereitschaftspolizei, Kräfte demnach, die keine gekennzeichnete Helme haben.
Mit „flapsiger Bemerkung“ in den Fettnapf
Mit dem Wort „Volkssturm“ aber war Friedrich Niehörster coram publico in eben jenen Fettnapf gestapft, in den unlängst die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein getreten war, als sie während der Fußball-Weltmeisterschaft in einer Sendung sagte, für den Torschützen Miroslav Klose sei sein Treffer wohl „ein innerlicher Reichsparteitag“ gewesen. Sowohl aus dem Rat als auch aus dem Publikum erntete der Polizeipräsident ob seiner Wortwahl sogleich herbe Kritik, verbunden mit dem Hinweis, er möge mal bedenken, wie es den Volkssturmmännern ergangen ist, die seinerzeit von Hitler in den Tod geschickt worden waren. Es sei doch nur eine „flapsige Bemerkung“ gewesen, meinte Niehörster.
„Es gibt bei der Polizei keinen schwarzen Block“
Und was sagt der Präsident zu Polizei-Einheiten, die bei Castor-Demos überhaupt nicht als Polizisten kenntlich sind, aber – ganz in Schwarz -als solche agieren? „Was ist mit diesem Schwarzen Block?“ rief eine Zuhörerin. „Es gibt bei der Polizei keinen schwarzen Block“, beschied Friedrich Niehörster.
Bürger: Kräfte aus Sachsen-Anhalt nicht gekennzeichnet
Böse Erfahrungen mit Einsatzkräften, die nicht gekennzeichnet gewesen seien, hat der Dannenberger Bürger Helmar Süßenbach gemacht. Er war es, der seinerzeit die Diskussion über die Polizei-Kennzeichnung im Dannenberger Rat ausgelöst hatte – und letztlich auch den Besuch des Polizeipräsidenten im Rat. Wegen einer vor langer Zeit gebuchten Reise konnte Süßenbach nicht zur Sitzung nach Breese kommen. Der Bürger hatte nach dem Castor-Transport 2008 mehrmals Schreiben ans Innenministerium und an die Polizeidirektion geschickt, darin seien persönlichen Erfahrungen mit „Polizei ohne Kennzeichnung“ geschildert – aber, so berichtet Süßenbach sinngemäß, er habe keine befriedigende Antworten erhalten. Der Bürger hatte seine Briefe sowohl nach Hannover und Lüneburg geschickt als auch an die entsprechenden Dienststellen nach Sachsen-Anhalt; denn Polizeibeamte von dort seien es gewesen, die ohne Kennzeichnung aufgetreten waren.
Präsident: Kenne Fall Süßenbach nicht
Nun erwarteten die BürgerInnen im Saal eine Aussage des Polizeipräsidenten zum „Fall Süßenbach“, doch: Friedrich Niehörster erklärte, er kenne diesen Vorgang nicht; er könne doch nicht persönlich von allen Vorgängen wissen, die in der großen Polizeibehörde bearbeitet werden, tagtäglich träfe eine Flut von Briefen und E-Mails dort ein. Dass ausgerechnet diese Angelegenheit, die immerhin Eingang in mehrere Ratssitzungen gefunden hatte, dem Präsidenten nicht bekannt sei – das schien nicht nur Kurt Herzog, der entsprechende Kritik anbrachte, kaum fassbar. Er werde der Sache nachgehen, versprach Friedrich Niehörster.
„Polizei hat kein Feindbild“
Generell erklärte der Präsident zu den Castor-Einsätzen: Er lege großen Wert darauf, dass sich die Polizei dabei auf ihren Auftrag beschränke - auf den Schutz der Transportstrecke. Den eingesetzten Beamten werde immer wieder eingeschärft, sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren und „alles andere in Ruhe zu lassen“ in der Region. Es gebe seitens der Polizei kein „Feindbild“ mit Blick auf die Ereignisse in Lüchow-Dannenberg. „Friedliche Versammlungen lassen wir zu“, betonte der Präsident und erinnerte: Selbst in „verbotenen“ Bereichen habe die Polizei während der Castor-Tage einige Demonstrationen „temporär zugelassen“, auch, damit die Protestierenden ihre Anliegen den Medien präsent machen könnten.
Niehörster: Schikanös empfundenes Polizeihandeln melden
Deeskalation sei angesagt, hob Niehörster hervor, und dieses Konzept habe sich bewährt: Seit Beginn der Castor-Transporte sei die Zahl angezeigter strafbaren Handlungen– auf allen Seiten – von über 1800 auf rund 50 zurückgegangen. Aber man solle doch berücksichtigen, dass „eine fünfstellige Zahl“ von Beamten bei Castor-Transporten im Landkreis zugegen sei, und unter denen seien nun mal auch Menschen, die sich nicht immer an die Linie „seid nett zu den Bürgern“ halten. Wenn etwa an einem zu überwachenden Punkt nach 15 Stunden Einsatz ohne jegliches Geschehen plötzlich ein Auto auftauche, dann sei es schon mal denkbar, dass das dortige Polizeiteam sage: „So, den kontrollieren wir jetzt aber mal!“ Wer sich bei solchen oder ähnlichen Vorkommnissen schikanös behandelt fühlt, solle sich das Kennzeichen des Einsatzfahrzeuges notieren und die Sache der örtlichen Polizeidienststelle melden, empfahl Friedrich Niehörster.
Bestätigt: Beamte werden in Demo-Gruppen eingeschleust
Ratsherr Bernard Fathmann (Bürgerliste) wollte wisse, ob es stimme, dass „verdeckte Ermittler“ in Demonstranten-Gruppen eingeschleust werden. Er kenne einen Fall, da habe solch ein Beamter die „Mitstreiter“ auch noch emsig motiviert zu ihrem Tun. Enttarnt worden sei der Mann, als er mit einem „Freak-Auto“ weg fuhr, dabei einen Verkehrsunfall verursachte und Unfallflucht beging, aber gestellt werden konnte. Dieses Einschleusen sei ein Teil polizeilicher Aufgaben, bejahte der Präsident Fathmans Frage. Solche Ermittlungen seien vonnöten, um Beamte vor bösen Überraschungen durch irgendwelche Aktionen zu schützen. Und: Es gelte, herauszufinden, „wo setzt die jeweilige Gruppe ihre Schwerpunkte“.
Kennzeichnungs-Wunsch „Ausdruck des Misstrauens“
Das Verlangen nach Kennzeichnung der einzelnen Polizisten, das immer wieder mal aufkam während der Diskussion im Ratssaal, bewertete Friedrich Niehörster als ein „Ausdruck des Misstrauens“, das er „nur hier“ kennen gelernt habe. Überall sonst genieße die Polizei in der Bevölkerung hohes Vertrauen, wie entsprechende soziologische Untersuchungen belegten.
„Schwarze Schafe gehören verdonnert“
Entschieden verwehrte sich der Polizeipräsident gegen den Vorwurf aus dem Publikum, unter den Polizeibeamten herrsche so etwas wie „Korpsgeist“, im Klartext: Wenn ein Beamter während einer Demo unrechtmäßig handelt, greife sein Kollege nicht ein. Das stimme nicht, betonte Niehörster: „Schwarze Schafe gehören verdonnert – auf beiden Seiten!“ Die Beamten seien sehr gut ausgebildet, „Sie wissen, was sie tun dürfen und was nicht.“ Und: „Da wird sich gegenseitig korrigiert“. Lautes Gelächter aus dem Publikum quittierte diese Aussage.
Foto (von links): Polizeipräsident Friedrich Niehörster, Dannenbergs Bürgermeister Peter Selber
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