Lüchow-Dannenberger Bürger müssen im Vorfeld des nächsten Castortransports damit rechnen, von verdeckten Ermittlern beobachtet zu werden. Das ist der Antwort von Innenminister Uwe Schünemann zu entnehmen, die er im Landtag auf eine mündliche Anfrage der Grüne-Fraktion gegeben hat. Hintergrund: Erneut war ein Atomkraftgegner von Zivilbeamten überwacht worden war.
In einem konkreten Fall wurden Haus und Hof eines im Wendland wohnender Mitarbeiters der Umweltschutzorganisation Greenpeace gefilmt bzw. abfotografiert, der als Sachverständiger im Parlamentarischen Untersuchungsauschuss zu Gorleben die Ergebnisse seiner Aktenstudien vorstellen wird. Nach Informationen aus Polizeikreisen seien hier sogar Mitarbeitern des Staatsschutzes tätig gewesen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Miriam Staudte, erklärt entrüstet: "Der Staatschutz als "politische Polizei" darf nur zur Verhinderung von staatsbedrohenden Aktivitäten eingesetzt werden, das ist bei Anti-Atom-Protesten nicht der Fall. Wir fordern Innenminister Schünemann auf, diese Praktiken umgehend einzustellen."
Das Vorgehen des Innenministers im Vorfeld des Castortransports ist den Grünen generell ein Dorn im Auge. "Schünemanns betreibt mit seinen Äußerungen, man habe bei den Castorprotesten vermehrt mit gewaltbereiten Autonomen zu rechnen, durchschaubaren Alarmismus," so Staudte. Einziger Zweck dieser Übung sei, Menschen von der Teilnahme an den bunten Atomdemonstrationen abzuschrecken.
Die Grünen-Politikerin hatte mit ihrer Anfrage auch nach begründeten Hinweisen für seine Äußerungen gefordert. "Die Beantwortung macht deutlich, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für seine Unterstellungen gibt. Mit seiner Bespitzelungspolitik und dem ungerechtfertigten Einsatz des Staatsschutzes versucht Schünemann den Bürger-Protest in die Nähe von politischen und religiösen Extremisten zu stellen. Bundes- und Landesregierung sind aber die Einzigen, die hier den Rechtsstaat aushöhlen."
Hier die Antwort von Innenminister Uwe Schünemann im Wortlaut:
"Im Rahmen der zurückliegenden sogenannten Castor-Transporte aus der Wiederaufarbeitungsanlage im französischen La Hague in das Transportbehälterlager Gorleben kam es regelmäßig zu Protesten, die von einem friedlichen Ausdruck einer ablehnenden Haltung bis hin zu gewalttätigen Aktionen gegen Sachen und Personen reichten.
Nach derzeitigen polizeilichen Erkenntnissen und vor dem Hintergrund der aktuellen themenbezogenen Verlautbarungen der Anti-Atom- bzw. Anti-CASTOR-Bewegung, ist auch für den kommenden Transport von ei-nem nicht unerheblichen bundesweiten Mobilisierungspotenzial auszugehen. In diesem Zusammenhang werden auch Aktionsformen, die häufig den Straftatbestand des Gefährlichen Eingriffs in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§ 315 StGB) erfüllen und somit eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 2 Nr. 11 des Niedersächsisches Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) darstellen, thematisiert.
Die Erfahrungen mit unfriedlich verlaufenden Demonstrationen am Erkundungsbergwerk in den zurückliegenden Jahren zeigen, dass kurz vor und während des Transportes auch gewaltbereite Demonstrationsteilnehmer an friedlichen Versammlungen teilnehmen. Es muss mit gewalttätigen Aktionen und entsprechenden Straftaten direkt am Erkundungsbergwerk Gorleben, an der Transportstrecke und am Verladebahnhof Dan-nenberg gerechnet werden.
Im Rahmen des bevorstehenden Transportes von Brennelementen nach Gorleben ist von einem erhöhten anlassbezogenen Straftatenaufkommen auszugehen. Diese Lageeinschätzung basiert insbesondere auf den Erfahrungen und Fallzahlen im Zusammenhang mit den Castortransporten der vergangenen Jahre. In den Jahren 2005 bis 2010 wurden insgesamt 713 Straftaten polizeilich registriert. Dabei handelte es sich in 299 Fällen um Gewaltdelikte, in diversen Fällen auch um Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 2 Nr. 11 Nds. SOG. Beispielhaft sind hier die Tatbestände des § 305 StGB (4 Fälle), des § 305a StGB (14 Fäl-le), des § 306 StGB (10 Fälle), des § 315 StGB (39 Fälle) und des § 316b StGB (6 Fälle) zu nennen.
Die Polizei hat zur Erfüllung ihrer Aufgaben Gefahren abzuwehren sowie Straftaten zu verhüten und konse-quent zu verfolgen. Hierzu werden grundsätzlich offene Maßnahmen durchgeführt. Bei besonderen Gefahrenlagen und bestimmten Erscheinungsformen der Kriminalität ist auch die Durchführung verdeckter Maßnahmen zulässig.
Zur Gefahrenabwehr dürfen unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Nds. SOG Vertrauenspersonen eingesetzt werden. Die Inanspruchnahme von Informanten richtet sich nach §§ 30, 31 Nds. SOG. Der Einsatz von Verdeckten Ermittlern ist in § 36 a Nds. SOG geregelt.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung auf Grundlage der Berichterstattung der Polizeidirektion Lüneburg wie folgt:
Vor dem Hintergrund eines Artikels in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 04.06.2010, wonach sich in Clenze auf dem Weg zum Büro eines im Artikel beschriebenen Greenpeace-Aktivisten eine Betonpyramide befinden soll, wurde der Ort am 19.08.2010 (nicht wie in den Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage angegeben am 18.08.2010) von Polizeibeamten der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen mit einem Fahrzeug mit dem Kennzeichen SAW-CM 198 aufgesucht. Die genannte Betonpyramide wurde im öffentlichen Verkehrsraum festgestellt und in Augenschein genommen, da vergleichbare Betonpyramiden in der Vergangenheit bereits als Tatmittel zur Straftatenbegehung eingesetzt worden sind. Vor diesem Hintergrund wurden Lichtbilder (keine Filmaufnahmen) der vorgefundenen Betonpyramide gefertigt. Personenbezogene Daten wurden im Rahmen dieser Maßnahme nicht erhoben."
Erstmalig hat Innenminister Uwe Schünemann damit öffentlich zugegeben, dass im Zusammenhang mit den Widerstandsaktionen in Gorleben, nicht nur verdeckte Ermittler sondern auch bezahlte Informanten eingesetzt werden.
Edler: Eine echte Posse
Mathias Edler, Atomexperte von Greenpeace, war derjenige, der im Mittelpunkt der umstrittenen Maßnahme steht, zu dem Vorfall: "Wenn es sich, wie Minister Schünemann behauptet, hier um einen strafrechtlichen Straftatbestand handelt, frage ich mich, warum kein uniformierter Polizist bei mir geklingelt hat, um nach zu fragen, was die Pyramide zu bedeuten hat. Den Einsatz von verdeckten Ermittlern halte ich für völlig überzogen, zumal die Pyramide so steht, damit jedermann sie sehen kann. Wenn ich wirklich etwas Unrechtes vorgehabt hätte, hätte ich sie wohl kaum so öffentlich zur Schau gestellt." Edler fürchtet angesichts dieser neuerlichen 'Posse', wie er es nennt, dass "wir im Verhalten der Polizei einen Rückfall in die 80er Jahre erleben werden".
Ironie der Maßnahmen: der Vorfall hat soviel öffentliches Interesse erregt, dass große überregionale Medien sich für das Thema interessierten und in den vergangenen Tagen scharenweise Journalisten in das verschlafene Dörfchen schickten, um das "verdächtige Objekt" zu fotografieren.
Foto: Andreas Conradt/publixviewing.de / Beim Castortransport 2008 hatten sich Landwirte der Bäuerlichen Notgemeinschaft in dem "corpus delicti" so festgekettet, dass der Castortransport für längere Zeit aufgehalten wurde.
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