Vor 100 Jahren erschien der Roman "Der Zauberberg" - ein zeitlose Philosophie über die Verführungskraft des Verfalls. Der Autor Heinz Strunk ("Fleisch ist mein Gemüse") stellt am Mittwoch in Bad Bevensen seine Neuinterpretation "Zauberberg 2" vor. Björn Vogt sprach mit ihm über Strunks Sicht der Dinge.
Der Schauplatz: Ein geheimnisvolles Sanatorium auf dem Land. Der Held: Ein Mann, der so viel Geld verdient hat, dass er nie wieder arbeiten muss. Das Problem: Es geht ihm nicht so gut.Seit Thomas Manns "Zauberberg" ist die Kurklinik ein klassischer Roman-Schauplatz, ideal fürs Erzählen, weil die Figuren viel Zeit haben, sich und ihre Mitmenschen zu beobachten, oft mit leichtem Grusel-Faktor. In dieser Tradition stellt Heinz Strunk, bekannt für literarische Chuzpe, zum 100-jährigen Jubiläum des Originals nun im Kurhaussaal seines Geburtsorts Bad Bevensen seinen "Zauberberg 2" vor: am Mittwoch, 11. Dezember, ab 19.30 Uhr.
Heinz Strunk, warum lesen Sie in Bad Bevensen?
Der NDR hatte mehrere Termine vorgeschlagen. Ich hab mich für Bevensen entschieden, weil: zum einen moderiert da Julia Westlake, mit der ich gut befreundet bin, und zum anderen bin ich da zumindest mal entbunden worden.
Wann haben Sie Bevensen verlassen?
Ich vermute mal, einen Tag später, oder vielleicht noch am gleichen, weiß ich nicht.
Haben Sie gar keine Erinnerung daran?
Als Neugeborener hat man davon ja eher weniger. Aber ich habe später nochmal meine Mutter in der Diana-Klinik besucht, ab 1985 regelmäßig, deswegen hab ich Bevensen, naja, kennengelernt ist zu viel gesagt, aber doch mehr, als nur da entbunden worden zu sein.
Im "Zauberberg" von Thomas Mann, gerade 100 Jahre alt geworden, geht es um existenzielle Themen und gesellschaftliche Beobachtungen. Wie verändert Ihr Blick von heute diese Themen?
Nach heutigen Maßstäben weiß man in den Gesprächen zwischen den Hauptfiguren Naphta und Settembrini zum Teil gar nicht mehr, worum es überhaupt geht. Es gibt allgemeinphilosophische Fragen, die sehr, sehr ausführlich, ich finde zu ausführlich, behandelt werden. Dann gibt es Fragen, die den damaligen Verhältnissen geschuldet sind. Der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Umbruch, das waren sehr bewegte Jahre, die Thomas Mann entsprechend umgetrieben haben.
Heute gibt es ja gar keine Lungenkliniken mehr. Die sind mit dem Siegeszug der Antibiotika geschlossen oder umgewandelt worden in Hotels.
Worum geht es Ihnen?
Das große Thema meines Buches ist Psychosomatik, beziehungsweise psychische Störungen, Beschwerden, Krankheiten. Das ist ein Thema, das ich als sehr zeitlos empfinde. Was heißt empfinden – es ist zeitlos!
Was ich im Roman unpassend finde, ist, sich über allgemeine gesellschaftspolitische Themen auszulassen… Sagen wir mal so: bei mir taucht nur ein einziges Mal das Wort Klimawandel auf. Das ist auch schon das Höchste der Gefühle. Alles, was jetzt so an aktuellen Themen in der Luft liegt, ob das Migration ist oder KI, irgendwelche Kriege oder was auch immer: Das versuche ich in meinem Roman zu vermeiden. Weil: Meine Bücher sollen so zeitlos wie möglich sein.
Das ist im Übrigen auch das große Geheimnis von Kafka: die extreme Zeitlosigkeit. Da werden niemals aktuelle Fragen verhandelt. Deswegen sind seine Bücher auch noch so aktuell, und deswegen ist es bei Thomas Mann so, dass einige Passagen heute nicht mehr richtig verständlich sind.
Sie haben das Thema sehr unterhaltsam transformiert. Rechnen Sie mit einem Erfolg?
Ich muss sagen, wenn das jetzt nichts wird, dann weiß ich auch nicht mehr (lacht). Bei mir kommen nur Sachen raus, die, was die Qualität des Textes betrifft, hundertmal abgesichert und abgesegnet sind. Und ich habe das große Glück gehabt, dass Prof. Wisskirchen, der Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, mir seinen Segen gegeben hat.
Das ist natürlich beruhigend, weil: es gibt bei einigen Provinzspießern eine reflexhafte Abwehrreaktion, ob der Dreistigkeit, dieses Buch auch noch "Zauberberg 2" zu nennen. Damit war zu rechnen. Dabei habe ich das gar nicht als Provokation angelegt. Ich war zu den Thomas-Mann-Tagen eingeladen, und dass man bei diesen geriatrischen Mann-Jüngern erstmal auf Skepsis bis Feindseligkeit stößt, war zu erwarten.
Sie haben in einer Psychosomatischen Klinik als Selbstzahler eingecheckt für die Recherche, würden Sie das grundsätzlich weiterempfehlen?
Es war das erste und einzige Mal in meinem Leben. Also, nicht, dass ich das alles schlecht fand, überhaupt nicht. Ich habe versucht, das so objektiv wie möglich zu schildern. Aber diese Therapien, wie sie im Buch stehen, die waren so ... Und man kann sich fragen, was das jetzt an großem therapeutischen Wert hat, diese Art von Musiktherapie oder Fototherapie oder so.
Aber trotzdem, wenn man sich das leisten kann, zeitlich und von den Finanzen: schaden kann es nicht. Das ist eher für Leute, denen es nicht so gut geht, die aber mit ihrem psychischen Leiden schon einigermaßen klarkommen.
Sie sind ein vielseitiger Künstler. Wie unterscheidet sich für Sie Literatur im Vergleich zu Musik oder Schauspiel?
Schauspiel kann man gar nicht beschreiben, das ist ja intuitiv. Ich kann das ganz okay, aber mit den richtigen Größen kann ich nicht mithalten. Will ich aber auch gar nicht. Für die Sachen, die ich so mache – bei Studio Braun, im Schauspielhaus in Hamburg oder auch ab und zu, wenn ich mal Fernsehen oder Filme mache – dafür reicht's. Schauspielerei – das kann man, oder man kann man es nicht. Musik ist nochmal eine ganz andere Ausdrucksform. Ich finde, das Produzieren von literarischen Texten – das ist schon sehr anstrengend.
Wie wichtig sind Disziplin und Struktur für Ihren Erfolg?
Disziplin muss! Gerade ich. Ich mache das seit 40 Jahren. Die ersten zehn Jahre gab es keine Nachfrage nach irgendetwas von mir. Das ist doch so: wenn man künstlerische Berufe ergreift, muss man damit rechnen. Man muss die Nachfrage selber schaffen. Heute ist es so, dass ich unabhängig bin. Ich mache keine längerfristigen Verträge mehr, immer nur den Vertrag über das nächste Buch. Ich nehme auch keine Vorschüsse mehr. Ich bin so unabhängig, wie es nur irgendwie sein kann. Aber ich bin sehr diszipliniert und will meinem Rhythmus – ein Buch pro Jahr – treu bleiben.
Und Musik?
Ich meine, mit 62 Jahren noch Popmusik machen ... Ich habe drei Alben gemacht, von 2015 bis 2019 – das interessiert einfach keinen. Das ist richtige Spezialmusik, das kostet sehr viel Zeit. In meinem Branding werde ich als Autor gesehen.
Ihre Musik ist großartig, schade, dass sie so wenig Aufmerksamkeit findet. Apropos: Wie stehen Sie zu ihren Flops?
Ich habe ja genug Sachen gemacht, die wirklich nicht erfolgreich war, Dinge, die nicht so klappen. Letztes Jahr, mein Bilderbuch „Die Käsis“: leider auch ein Flop. Es gibt immer noch genug Flops, da freue ich mich über jeden Erfolg. Meine Kolumnensammlung "Nach Notat zu Bett" hat sich ebenfalls unglaublich schlecht verkauft, sehr, sehr bedauerlich.
Verblüffend, das Buch ist ausgezeichnet ...
Das zeigt auch schon wieder: Schreiben ist nicht gleich schreiben. Wenn ich eine Kolumnensammlung veröffentliche, dann ist das was ganz anderes als ein Roman oder ein Erzählungsband.
"Nach Notat zu Bett" hat sich vielleicht 10.000 Mal verkauft. Das ist ja nicht Vollkatastrophe, für mich aber eigentlich schon. Ich bin da vielleicht ein bisschen verwöhnt, weil ich es ein paar Mal geschafft habe, über 100.000 zu kommen.
Beim Zauberberg liegt die Latte höher?
Freunde haben es gelesen, der erwähnte Prof. Wisskirchen – so viele, dass ich weiß, dass der Text gut ist. Es wird immer ein paar Stinker geben, die das dreist finden, aber ich rechne mit positiver Resonanz. Das ewige Gejammere der Buchbranche ist übrigens Quatsch: In Deutschland wurden 2 021 270 Millionen Bücher verkauft. Und wenn jemand vor einer Dekade gesagt hätte, dass die Buchbranche die Digitalisierung unbeschadet übersteht, dann wäre er für verrückt erklärt worden. Verkaufsmäßig kommt man mit dem was ich mache nie in die ganz oberen Ränge. In Deutschland sind das Fitzek, Juli Zeh, Schirach. Krimileute, Mainstream, populäres Zeug. Da bin ich zu speziell für. Insofern kann ich froh sein, mit meinem Kram so viele Leute zu erreichen.
Ist Ihnen das Aufstehen schwer gefallen, am Tag nach der Wahl Donald Trumps und dem Platzen der Ampel, oder blenden Sie das aus?
Nö, das eine hat mit dem anderen ja nicht so viel zu tun, aber ich fand das schon deprimierend. Ich bin in dieser Nacht ein paar Mal aufgewacht und habe dann immer geguckt, wie die Ergebnisse sind. Und es war ja von Anfang an schon klar, dass das nicht werden würde – unbegreiflich für, glaube ich, alle hier in Deutschland. Aber, nun denn, die haben sich das so ausgesucht, da müssen wir durch.
Haben Sie keine Angst vor den nächsten vier Jahren?
Ich finde es schon bedrückend, aber ich denke, dass wir hier auf der Insel des Reichtums und des Friedens und der Sicherheit einigermaßen unbeschadet da durchkommen.
Das Gespräch führte Björn Vogt.
"Zauberberg 2" ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 25,- Euro
Foto | NDR / Dennis Dirksen